Der Gott von Tarot
sie Blicke aus. „Vision“, sagte der erste Sprecher bewundernd. Er war ein untersetzter, dunkelhaariger Mann mit tiefen Falten um den Mund, die man sogar beim Lächeln, wie eben gerade jetzt, sah. „Eine gute Wahl. Aber ich wußte nicht, daß es ein kriegerischer Kult ist.“
Kriegerischer Kult? „Der Heilige Orden der Vision ist eine pazifistische Vereinigung, die immer den Weg des geringsten …“
„Aber du hast den Knochenbrecher besiegt!“
Den Knochenbrecher. Ein passender Name. „Mich hat der Selbsterhaltungstrieb in Versuchung geführt. Ich glaube aber nicht, daß ich dem Tier etwas zuleide getan habe.“
Wieder ein Blickaustausch. „Die Frage ist, wie kommt es, daß der Knochenbrecher dir nichts zuleide getan hat! Wir bewegen uns immer in bewaffneten Gruppen, um seiner Wildheit während dieser Tageszeit, wenn er umherschweift, begegnen zu können.“
Offensichtlich kannten sie die Gewohnheiten des Knochenbrechers, und jetzt war gerade seine Jagdzeit. Das würde auch erklären, warum sie nicht sogleich zu seiner Begrüßung herbeigeeilt waren; sie mußten zuerst ihr Trüppchen organisieren und mit der notwendigen Vorsicht vorgehen. „Vermutlich habe ich Glück gehabt“, meinte Bruder Paul. „Mir ist es gelungen, ihn zu vertreiben, als ich mich schon verloren wähnte.“
„Genau“, sagte der Sprecher mit zweifelndem Gesichtsausdruck – sein Gesicht war für säuerliche Mienen gut geeignet –, „dein Gott paßt offensichtlich gut auf dich auf.“
„Mein Gott ist der gleiche wie der eure“, entgegnete Bruder Paul bescheiden – und war erstaunt über die Reaktion darauf. Offensichtlich hatte er einen Fehler begangen.
„Wir wollen uns vorstellen“, sagte der Mann und besänftigte auf unvermittelte Art die unbehagliche Stille. „Ich bin Pfarrer Siltz von der Zweiten Kommunistischen Kirche, durch Beschluß dieser Gruppe ihr Sprecher.“
Bruder Pauls Miene zuckte nicht einmal. Nach Antares, dem gelatinösen Fremden, einer lebendigen Tarotherrscherin und dem Knochenbrecher war eine Kommunistische Kirche doch nur eine geringe Anomalität. „Freue mich, Sie kennenzulernen, Pfarrer Siltz“, sagte er. Der Mann bot ihm nicht die Hand an, daher nickte Bruder Paul beim Reden nur zustimmend mit dem Kopf.
Der Mann zur Rechten des Pfarrers ergriff das Wort: „Janson, Adventist.“ Und die anderen der Reihe nach: „Bonly, Freimaurer.“
„Appermet, Yoga.“
„Smith, Swedenborgianer.“
„Miller, weganischer Vegetarier.“
„Wir hatten Sie schon erwartet“, sagte Pfarrer Siltz brummig. „Über Ihre exakte Ankunftszeit waren wir nicht informiert, doch die Sache liegt uns am Herzen.“ Hier unterdrückte einer der anderen ein kurzes Schnauben und erinnerte den Bruder wiederum an die verwickelten Strömungen, die unterhalb dieses heimgesuchten Planeten flossen. Wo war er da hineingeraten?
Pfarrer Siltz runzelte die Stirn, fuhr jedoch fort: „Durch Los war es der Kommunistischen Kirche zugefallen, Sie in Übereinstimmung mit dem Vertrag zu begrüßen und Ihnen für die Dauer Ihres Aufenthaltes unsere Gastfreundschaft anzubieten. Dies bedeutet kein Urteil über den Wert Ihrer Mission oder unsere Meinung darüber. Sie sind natürlich frei, eine andere Unterbringung zu wählen. Der Orden der Vision unterhält hier keine Station.“
In der Tat Strömungen! War das Los auf einen Feind gefallen, ihn zu beherbergen, oder war dies einfach übertriebene Höflichkeit? Er mußte sein leichtes Boot vorsichtig steuern, bis er mehr über die Besonderheit der Situation wußte. „Ich freue mich, Ihr Angebot annehmen zu dürfen, Pfarrer, in der Hoffnung, daß meine
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