Der Gott von Tarot
ehe er mit dem Knochenbrecher fertig geworden war. Pfarrer Siltz mußte sich schon auf dem Weg befunden haben, als die Kapsel landete. Der Planet Tarot kannte offensichtlich weder elektronische Kommunikation noch motorisierten Transport; daher waren hier Laufvermögen und Beobachtungen wichtig, ebenso wie in den besseren Gebieten der Erde heutzutage.
Eine mächtige Palisade aus Holzpfählen umgab das Dorf; jeder Pfahl war poliert und sah gut aus. Bruder Paul hatte während seiner Arbeit im Orden einiges über Holzbearbeitung gelernt, doch niemals zuvor ähnliches Holz gesehen. „Das Herz vom Herzstück der Fichte“, murmelte er.
Innerhalb des Ringes bestanden die Häuser aus dem gleichen Material; aus gekerbten Balken gebaut, die man mit Lehm verschmiert hatte. Die Dächer bestanden aus dicker Grasnarbe, auf der zuweilen sogar Blumen wuchsen. Hier und dort entdeckte er im Schatten weitere Anhäufungen jener Blasen, die er zuerst bei dem Komposthaufen entdeckt hatte. So waren es also nicht ausschließlich Produkte organischer Zersetzung.
„Was ist das?“ fragte Bruder Paul und bückte sich, um eine zu berühren. Sie zerplatzte nicht. So nahm er sie also vorsichtig in die Hand – und dann erst zerplatzte sie. Offensichtlich waren einige der Blasen stärker als andere.
„Tarotblasen“, antwortete Pfarrer Siltz. „Sie wachsen überall, besonders in der Nacht. Sie haben keinerlei Wert, etwa wie Mehltau oder Unkraut. An bewölkten Tagen bauen geschickte Kinder daraus ganze Schlösser. Wir halten sie aus den Häusern heraus, damit sie unsere Nahrung nicht verderben.“
Wie rasch eine hübsche Neuheit zum Ärgernis werden konnte! Aber Bruder Paul konnte den Wunsch der Kolonisten verstehen, unerwünschte Gewächse von ihren Nahrungsmitteln fernzuhalten; die Reste mochten harmlos sein, aber warum sollte man ein Risiko eingehen. Die meisten Bakterien auf der Erde waren ebenfalls harmlos, doch diejenigen, die es nicht waren, hatten oft vernichtende Wirkung.
Im Zentrum des Dorfes stand ein Holzstoß. Um ihn herum arbeiteten allerlei Menschen. Männer sägten Bretter zurecht – oder vielmehr, sie hobelten sie und hinterließen Hügel mit sich zu Spiralen rollenden Abfällen. Die Kinder sammelten diese Holzlocken und legten sie neben den sitzenden Frauen zu Mustern zurecht. Die Frauen schienen die Schnitte zu glätten und entfernten die Fasern, so daß es Tuch ähnelte. Das war ein Holz!
Pfarrer Siltz blieb stehen, und die anderen Mitglieder der Gruppe folgten seinem Beispiel. In stiller Ehrfurcht beugten sie die Köpfe. „Baum des Lebens, Gott von Tarot, wir danken dir“, sagte Siltz förmlich und verbeugte sich vor dem Holzstoß.
Baum des Lebens? Gott von Tarot? Bruder Paul kannte den Baum des Lebens als Diagramm von Bedeutungen im Zusammenhang mit der Kabbala, dem alten hebräischen System der Zahlen-Alchimie. Und den Gott von Tarot, den er ja suchte, hatte er sich gewiß nicht als Holzstoß vorgestellt. Was hatte dies zu bedeuten?
Pfarrer Siltz drehte sich zu ihm um, während die anderen Männer weitergingen. „Wir haben hier viele Glaubensrichtungen in der Tarot-Kolonie. Doch in einem sind wir uns einig: Der Baum ist die Quelle unseres Wohlergehens. Wir haben das Gefühl, unsere jeweiligen Götter haben nichts gegen den Respekt, den wir ihm zollen.“
„Hat er Ähnlichkeit mit dem Großen Weltenbaum der nordischen Sage, dem Yggdrasil?“ fragte Bruder Paul. „Seine Wurzeln erstrecken sich in drei Bereiche …“
„Es gibt hier nordische Sekten, die vielleicht diese Analogie herstellen“, stimmte Siltz zu. „Aber die Mehrheit von uns betrachtet ihn als rein
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