Der Gott von Tarot
Situation ist. Jede Frau deutet auf ihren Weg hin. Die Tugend trägt die heilige Schlange auf der Stirn; das Laster ist mit Weinranken und Trauben gekrönt. Auf diese Weise verkörpert sie die Verführung.“
„Verführung“, echote Bruder Paul. Ihre ‚simplen’ Antworten erschienen ihm nicht sonderlich einfach, doch er schätzte ihren Versuch, sich auf seine Ebene herabzulassen. Er merkte, daß sie in Kleidung und Haltung der Gestalt der Tugend auffallend ähnelte, doch ihr bescheidenes Auftreten konnte nicht gänzlich die wunderschönen Brüste, langen Beine und anderen weiblichen Attribute verhüllen. Sie erinnerte ihn an … nun, an die Kolonistin Amaranth. Und wieder diese Versuchung! Aber nicht gleichzeitig mit Logik verbunden.
„Ich schätze deine Vernunft“, sagte er. „Es tut mir leid, daß ich dem Tarot der Bruderschaft vom Licht nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt habe. Wahrscheinlich bin ich, als ich den dämonischen Cupido am Himmel sah, sofort zu dem Schluß gekommen …“
„Das ist weder ein Dämon noch ein Cupido“, entgegnete sie. „Es ist der Genius der Gerechtigkeit, der in einer blitzenden Aureole der zwölf Strahlen des Zodiac darüber schwebt, gekrönt mit den Flammen des Geistes, und er richtet den Pfeil der Strafe auf das Laster. Diese Gruppe steht für den Kampf zwischen Bewußtsein und den Leidenschaften, zwischen göttlicher Seele und animalischer Seele; und als Ergebnis dieses Kampfes beginnt ein neuer Lebensabschnitt.“
Bruder Paul nickte nachdenklich. Sicher paßte Venus gut zum Aspekt der Liebe, und die Interpretation des Bildes als Wahlsituation paßte auch extrem gut zu seiner gegenwärtigen Situation. Und wenn dies das Mädchen Amaranth war und beschrieb, was eigentlich nur ihr Tarotspiel sein konnte, wäre er sehr froh, sie als Führerin zu haben. Doch immerhin würde er sich die anderen Angebote noch ansehen, ehe er eine Entscheidung traf. Entschuldigend versuchte er, dies der Dame zu erklären.
Sie lächelte. „Ich bin sicher, du wirst das Richtige tun“, sagte sie und verschwand.
Sie konnte also darauf warten, bis sie an die Reihe kam. Sie gefiel ihm immer besser.
Die nächste Erscheinung war ein Mann, der ihn sehr an seine außerirdische Bekanntschaft, Antares in seinem menschlichen Gastkörper, erinnerte. Doch die Szene selbst war sogleich erkennbar: ‚Die Liebenden’ von Arthur Waite, dem vielleicht bekanntesten Experten des Tarotspiels. Die Szene stellte einen nackten Mann und eine Frau dar, die mit ausgebreiteten Händen voreinander standen, während ein riesiger, geflügelter Engel über den Wolken schwebte und seinen Segen erteilte. Das Tarotspiel des Heiligen Ordens der Vision war von dem von Paul Foster Case abgeleitet, welches wiederum eine Verfeinerung des Waiteschen darstellte.
So erschien ihm dieses Bild äußerst angenehm in seiner Vertrautheit.
Doch die Vorteile für das Lichtbruderschaft-Spiel standen noch im Raum. „Sir“, sagte Bruder Paul zögernd zu der Waiteschen Gestalt. „Ich habe gerade eine ägyptische Variante dieser Arkane gesehen …“
„Angeberei!“ bellte die Gestalt. „Es gibt nicht den geringsten Beweis für den ägyptischen Ursprung der Tarotkarten!“
„Aber eine Reihe von Experten haben …“
Die Gestalt nahm eine Haltung an, die bei einem geringer stehenden Menschen arrogant gewirkt hätte. „Ich wünsche innerhalb der Regeln der Höflichkeit der Bruderschaft der Forschung zu sagen, daß mir jede Betrachtungsweise, die dort ihren Ausdruck findet, aufs äußerste gleichgültig ist. Es gibt eine geheime Tradition bezüglich des Tarot, ebenso wie eine darin enthaltene
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