Der Gottbettler: Roman (German Edition)
viel lieber hätte ich einen Kumpel an meiner Seite, mit dem ich mich über Weiber und übers Ficken unterhalten könnte.«
Der Stumme Junge reagierte nicht. Oder? War da ein Lächeln? Ein Augenverdrehen, ein resignierender Blick?
»Das Leben war viel leichter, als ich noch Latrinen putzte«, sagte Rudynar Pole, während er an die Spitze der kleinen Gruppe ritt. »Tagaus, tagein die gleiche leichte Arbeit. Keine Verantwortung. Ab und zu Besoffene aus den Kloaken ziehen, das war’s auch schon mit den Schwierigkeiten.«
»Für ein paar Messing- oder Kupferstücke hast du Spucknäpfe oder Ärsche ausgeleckt, nicht wahr?« Terca ritt dicht hinter ihm, beschleunigte den Schritt ihres Pferdes und befand sich dann an seiner Seite. »Du hast dich wie ein Sklave verhalten, hast dich dem Alkohol unterworfen. Jetzt hingegen triffst du freie Entscheidungen. Was für eine Qual das für dich sein muss.«
»Halt doch dein Schandmaul, alte Hexe, und lass mich von früheren Zeiten träumen, als alles noch viel einfacher und ich bedeutend jünger war. Außerdem musste ich nicht in Gesellschaft einer Hexe und eines Magicus reisen.«
Pirmen war in einem Holzgestell auf einem Muli festgebunden. Seine Gesichtshaut schälte sich ohne erkennbaren Grund, die Augen lagen tief in den Höhlen. »Ich hätte dich tatsächlich in deiner Scheiße verrotten lassen sollen«, krächzte er und atmete schwer. »Ich verstehe den Humor der Götter nicht. Ausgerechnet dich, ausgerechnet ein so schwaches und unnützes Wesen, machen sie zu einer der wichtigsten Figuren in diesem Spiel und …«
»Es ist kein Spiel!«, fiel ihm Terca ins Wort. »Es liegt an uns, die Macht des Gottbettlers zu brechen und die Welt wieder so zu gestalten, wie sie sein sollte.«
»Wird sie denn besser und freier sein, wenn der Gottbettler nicht mehr ist?«, fragte sich Rudynar Pole laut.
»Es wird so sein, wie es sein soll.« Tercas Stimme klang ruhig, fast gelangweilt. »Das natürliche Gleichgewicht muss wiederhergestellt werden. Der Starke wird den Schwachen fressen, bis er alt ist und von einem Jüngeren verdrängt wird. So ist der Lauf der Dinge.«
»Und wie sieht es mit dem endlosen Kampf zwischen Magicae und Hexen aus?«, fragte Rudynar Pole. »Wird er wieder aufgenommen, sollte das Reich des Gottbettlers zerfallen?«
Weder Terca noch Pirmen antworteten ihm darauf. Sie blickten beiseite, fast so als schämten sie sich. Hatte Rudynar Pole ihren schwachen Punkt erwischt?
Einerlei. Er nahm einen tiefen Schluck vom Sauren und warf den leeren Trinksack dann einfach fort. Das Gesöff schmeckte widerlich, doch es benebelte ihn, und je weniger er von der Welt rings um sich mitbekam, desto besser fühlte er sich.
Sie querten eine Furt. Eine von vielen am heutigen Tag. Das Flachland von Süd-Aenas, dessen Sümpfe und Fluss-Deltas sie längst hinter sich gelassen hatten, zeigte sich allmählich von seiner angenehmeren Seite. Abgesehen von Gelsen und anderen Stechmücken gab es hier nur noch eine Gattung von Raubtieren, vor denen sie sich in Acht nehmen mussten: Menschen, die auf den zahlreichen Inseln und Halbinseln in armseligen Behausungen ein nicht minder armseliges Dasein fristeten, fetteten ihre Fischdiät von Zeit zu Zeit auf, indem sie über Reisende herfielen.
So jedenfalls war es gewesen, als Rudynar Pole dieses Land das letzte Mal bereist hatte. Doch die Heerscharen des Gottbettlers hatten offenbar für Ordnung gesorgt. Viele Hütten lagen verwaist, manche waren dem Erdboden gleichgemacht. Die wenigen größeren Siedlungen wirkten sauber und gepflegt.
Ich kenne Metcairn Nifes Handschrift nur zu gut. Wo auch immer er auftaucht, pflügt er um und kehrt das Unterste zuoberst , dachte Rudynar Pole. Seine Leute sichern das Land. Sie pflanzen Ordnung und Zivilisation. Sie bauen Schulen, schaffen Strukturen, bringen den Bewohnern völlig neues Wissen. Sodass sie sich nach einer Weile trotz all der Entbehrungen, die im Sog eines Kriegs nun mal zu erleiden sind, wieder selbstständig versorgen können. Frei von der Willkür irgendwelcher Räuberhäuptlinge oder selbsternannter Landesfürsten. Metcairn Nifes Saat geht meist schon binnen einer Menschengeneration auf. Er schüttelte innerlich den Kopf. Der Heerführer bringt Tod, der neues Leben hervorbringt. Muss man ihn verdammen oder für seine Leistung würdigen?
Der Stumme Junge machte seinem Beinamen nach wie vor alle Ehre. Seitdem sie Griam verlassen hatten, sprach er kein einziges Wort. Er hielt den Kopf unter
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