Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Hose gespritzt.
»Verstehst du nun?«, fragte sie.
»Ja.« Metcairn Nife schluckte. »Aber wenn der Stumme Junge und seine Begleiter derart mächtig sind, was können wir ihnen entgegensetzen?«
»Unsere Masse. Unsere Präsenz. Unseren Geist. Die Aufgabe des Heeres wird es sein, die Sonne zu verdunkeln und die Kraft der Feinde einzudämmen. Einerlei, wie viele Soldatenleben es kostet.«
»Ich soll notfalls all diese Leben opfern?«
»Es dient dem Wohl des Gottbettlers.«
Und dem euren, dachte Metcairn Nife, während die Sibylle mit eleganten Schrittsprüngen davoneilte und schon bald wieder im Inneren ihres hell erleuchteten Wagens verschwand. Wir alle sollen sterben, damit ihr überleben könnt.
Es hätte bloß einiger weniger Worte bedurft, um seine Getreuen, von denen manche schon seit mehreren Jahrzehnten auf ihn und seine Weitsicht vertrauten, vor den Plänen der Sibyllen zu warnen. Doch es gelang ihm nicht, diese Worte zu formulieren, und erst recht nicht, den Zug anzuhalten und ihnen die Wahrheit zu offenbaren. Was auch immer die Frau mit ihm angestellt hatte, er war völlig blockiert.
Und mein Schwanz tut so weh, dass ich Gunguelle drei oder vier Tage nicht an mich heranlassen werde.
16. Auf dem Weg
Der übereilten Flucht durch die Straßen Griams folgte eine durch Hektik geprägte Überfahrt zurück aufs nördliche Festland. Hexe und Magicus hielten die höchst zweifelhafte Schiffsmannschaft mithilfe ihrer seltsamen Kräfte im Zaum. Danach stahlen sie Pferde und Ausrüstung, wobei Rudynar Poles wiedergenesener Schwertarm reichlich zu tun bekam. Sie machten sich auf den Weg in dieses geheimnisvolle Land namens Blume von Oriath, dessen ebenso geheimnisvoller Herrscher zum mächtigsten Wesen des Weltenrunds aufgestiegen war.
Man suchte bereits nach ihnen. In den aenasschen Sumpfstädten begegnete man ihnen mit Misstrauen, und nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Kopfgeldjägern beschlossen sie, abseits der belebten Straßen in Richtung Norden weiterzureisen.
Was machten sie bloß hier? Was machte er hier?
Vier Leute, allesamt gezeichnet, auf dem Weg ins Kernland des Gottbettlers, um diesen Unheilbringer für seine unzähligen Untaten zur Verantwortung zu ziehen.
Der Stumme Junge erwies sich zunächst als schlechter Gesprächspartner. Sein blasses, noch bartloses Gesicht war meist in den Himmel gerichtet, als folgte er dem Lauf eines Gestirns, das nur er selbst sehen konnte. Er kramte dabei in seinem Sackgewand umher und kratzte sich, immer wieder, als hätte er die Krätze. Blutrote Strähnen verunzierten seine Brust, seine Arme, die Wangen und die leicht krumme Nase. Womöglich rührten sie von Hieben her. Oder handelte es sich um Ekzeme?
Rudynar Pole unternahm einen Versuch nach dem anderen, mit dem Stummen Jungen Kontakt aufzunehmen. Er bot ihm zu essen an, half ihm bei den täglichen Routinearbeiten einer immer länger werdenden Reise, wusch ihn, sorgte für sein Wohlergehen. Doch je mehr er tat und je mehr er sich bemühte, desto weiter zog sich der Junge zurück. Er ließ dann die Kapuze seines Gewandes weit übers Gesicht hängen, wie einen Vorhang, hinter dem er seine hellen Augen versteckte.
Nach und nach erwachte der schlanke, fast dürre Bursche aus seiner Lethargie. Starrte ihm tief in die Augen und streckte die Hand aus, um ihn mit den Fingerspitzen zu berühren, streichelte über sein Gesicht und stammelte Worte, die einer fremden Sprache entstammten und von der selbst Terca vorgab, sie nicht zu kennen.
Rudynar Pole genoss diese Momente. Da war ein Wesen, das ihn mochte und das ihn seine Zuneigung spüren ließ.
Was hatte es mit all den Prophezeiungen auf sich? Wer hatte vorhergesehen, dass sie beide aufeinander angewiesen waren und einander brauchten? Der Junge ließ nicht erkennen, dass er irgendetwas von dem verstand, was Rudynar Pole ihm beizubringen versuchte. Und dennoch zeigte er sich bald lebendiger. Nahm auf, was rings um ihn vor sich ging. Lernte, seine Schuhe zu binden und Essen zu sich zu nehmen, ohne sein grob gewebtes Hemd zu beschmutzen. Kratzte krakelige Buchstaben in den lehmigen Boden, während Rudynar Pole und Terca einige Reisenotizen in einem kleinen Büchlein niederschrieben … Der Stumme Junge lernte in angsterregender Geschwindigkeit. Es war, als müsste er im Eiltempo all das aufholen, was er während der letzten Jahre vernachlässigt hatte.
»Was fange ich bloß mit dir an, Kleiner?«, fragte Rudynar Pole den Burschen. »Ich mag dich ja. Aber
Weitere Kostenlose Bücher