Der Gottbettler: Roman (German Edition)
dem roten Tuch verborgen, das er um den Körper geschlungen hatte, selbst in der schwülen Hitze des Aenas-Deltas. Bloß die Nasenspitze und sein dünner Mund waren zu sehen.
An wen erinnert er mich bloß? Ich bin mir sicher, dass ich ihm bereits einmal begegnet bin …
»Warum glaubt man, dass du den Gottbettler besiegen kannst?«, fragte er, nicht zum ersten Mal auf dieser Reise. »Erzähl mir von deinen Gaben.«
Der Junge zuckte unter den Worten Rudynar Poles zusammen, drehte den Kopf hin und her, gab aber keine Antwort. Wie immer. Also ging Rudynar Pole wieder auf Distanz, griff nach einem weiteren Trinkschlauch, öffnete ihn und nahm einen tiefen Schluck.
»Da stimmt etwas nicht«, sagte Pirmen zu ihm, sobald sie sich weit genug vom Stummen Jungen entfernt hatten. »Larex meinte, dass ihr beide augenblicklich aufeinander reagieren würdet.«
»Tun wir doch. Aber auf eine Weise, die du nicht verstehst und die du nicht siehst, Kleiner Herr. Abgesehen davon war Larex nicht unbedingt ein Freund der Ehrlichkeit.«
»Warum hätte er mich in dieser Hinsicht anlügen sollen?«
»Weil er nichts anderes konnte, als stets Intrigen zu spinnen, und weil er deshalb die Leute über sein wahres Wissen im Unklaren ließ«, mischte sich Terca ein. »Was auch immer er dir sagte, muss nicht in allen Punkten der Wahrheit entsprechen.«
»Und was ist mit dir, Hexe?«, fragte Pirmen. »Weißt du nicht auch mehr, als du uns bisher offenbart hast?«
»Selbstverständlich. Aber ich bin seit langer Zeit ungeübt im Spiel von Niedertracht und Verrat. Gebt mir zwanzig oder dreißig Jahre, um wieder zu mir zu kommen. Danach würde ich euch beide so sehr einkochen, dass der eine mir freiwillig als Hofnarr dienen und der andere mir voll Wolllust die Zehennägel anknabbern würde.«
»Das sind ja schöne Aussichten.« Rudynar Pole schüttelte es.
»Du sagst es. Wenn du mir also den Lustknaben machen möchtest, mein Schöner, steht dir jederzeit frei, das Nachtlager mit mir zu teilen. Ich könnte dir Dinge beibringen, von denen du bisher nicht zu träumen gewagt hast.«
»Natürlich.« Er musterte verstohlen das so ungleiche Paar, Hexe und Magicus. Es war höchst anstrengend, zwischen ihnen zu stehen und ihnen beiden zu Gefallen zu sein. Noch glaubten sie, über ihn bestimmen und ihn beeinflussen zu können. Seit Wochen schon spielte er mit ihnen, so wie sie glaubten, mit ihm zu spielen. Doch irgendwann würde das auffliegen, und sie würden die Kraft, über die er tatsächlich verfügte, als Gefahrenquelle erkennen.
Rudynar Pole dachte an die vielen Gelegenheiten, da Pirmen oder Terca ihn genötigt hatten, wie ein Hampelmann herumzutanzen. Er war auf sie eingegangen, weil … Ja, warum eigentlich? Weil sie seinen Ehrgeiz angestachelt hatten und er diese vorgeblich so mächtigen Geschöpfe gegeneinander ausspielen und sie ganz kräftig auf die Nase fliegen lassen wollte?
Lächerlich! Er hatte jedwedem Ehrgeiz abgeschworen, als er Metcairn Nife und dem Heer des Gottbettlers den Rücken gekehrt hatte. Es war seine verfluchte Neugierde. Die Schuldgefühle. Die Hoffnung, ein klein wenig von dem gutmachen zu können, was er einstmals unzähligen Wesen des Weltenrunds angetan hatte.
Sie passierten eine weitere Furt. Vor ihnen erstreckte sich ebenes Gelände, das von mäandernden Flussläufen beherrscht wurde. In der Ferne stachen drei Rauchfahnen steil in die Höhe. Wahrscheinlich gehörten sie zu einer Ansiedlung, die sie wie alle anderen der letzten beiden Tage links liegen lassen würden.
Eine hutzelige Gestalt saß am Ufer eines der Flüsse und angelte. Sie ritten auf die Frau zu, und Terca verlangte von ihren Gefährten: »Überlasst mir das Reden.«
Pirmen schüttelte unwillig den Kopf. »Ich wüsste nicht, warum. Du hast bislang kein sonderlich diplomatisches Geschick bewiesen.«
»Sie ist eine von meiner Art«, sagte die Hexe kühl, ohne auf die Provokation einzugehen.
»Deswegen ist sie so hässlich.«
»Immerhin besitzt sie noch alle Körperteile.«
Pirmens Gesicht wurde blass, seine Hand krampfte sich um die Zügel, doch er blieb ruhig und brachte sein Pferd dazu, langsamer zu reiten. Womöglich hatte er Angst. Das sonderbare Verhältnis zwischen Hexen und Magicae entzog sich Rudynar Poles Verständnis. Seine Begleiter empfanden so etwas wie Sympathie füreinander, doch der äonenlange Streit zwischen Hexen und Magicae ließ es nicht zu, dass sie dies offen zeigten.
Terca ritt vornweg, Rudynar Pole folgte ihr. Die
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