Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Verstand bleiben. Hast du mich verstanden, Terca?«
»Ja … Schwester.«
Warum dieses Zögern? Warum die eigenartige Betonung des letzten Wortes? Was verband die beiden Wicca, und was trennte sie?
»Wir sehen uns wieder?«, fragte Terca.
»In achtzehn Jahren oder mehr. Bis dahin – gehab dich wohl, Schwester.« Die eigenartige Hexe ließ sich rückwärts ins Wasser fallen. Die Oberfläche des kühlen Nasses blieb ruhig, als sie auf das Wasser traf und darin eintauchte. Dann trieb ein dunkler Körper unter der Oberfläche flussaufwärts, entgegen der Strömung, um schließlich in der Nähe eines Strudels zu verschwinden, als hätte es ihn niemals gegeben.
»Scheißhexen«, sagte Pirmen, der sein Reittier langsam an den Fluss herantrieb. »Hoffentlich bleibt sie für alle Zeiten dort unten.«
»Sicherlich nicht.« Terca kümmerte sich nicht weiter um die Beleidigung des Magicus. Sie wirkte, als wäre sie in Gedanken woanders, ganz weit weg, und sie benötigte eine Weile, um wieder zu sich zu kommen. Schließlich sagte sie zu Rudynar Pole: »Du hast die Warnung meiner Schwester gehört, Hoher Herr. Du bekommst keinen Tropfen mehr, und du bleibst von nun an immer in meiner … in unserer Nähe. Verstanden?«
»Ich bin nicht euer Gefangener!«
»Aber du hast dich verpflichtet, den Stummen Jungen in deine Obhut zu nehmen. Ich verlange von dir, dass du deine Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen verrichtest.«
Rudynar Pole bemerkte, wie angestrengt sie ihre Kräfte auf ihn richtete, ihre Dusus, die sich mit Pirmens Magie vereinte und ihn unter Kontrolle bringen sollte.
Er widerstand. Es fiel ihm leicht wie niemals zuvor. Diese beiden Wesen stellten keinerlei Herausforderung mehr für ihn dar. Der Einzige, der ihm während dieser Reise gefährlich werden konnte, war der Stumme Junge. Denn in ihm ruhte etwas, das ihn faszinierte und zugleich ängstigte. Wenn er ihm doch wenigstens einmal einen Blick in sein Gesicht erlaubt hätte …
»Weiter!«, befahl Terca nach einer Weile. Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie über das Scheitern ihres Versuchs, ihn zu beeinflussen, enttäuscht war. »Die Sonne steht hoch. Wir sollten noch einige Laufe hinter uns bringen, bevor wir unser Nachtlager aufschlagen.«
Tag reihte sich an Tag. Rudynar Poles Hintern war längst wund geritten, doch er genoss die Welt rings um sich. Die Gerüche der Natur, die rasch wechselnden Wetterbedingungen, der Übergang vom Sumpf zur Weidelandschaft und von kleinen, dürren Gewächsen zu mächtigen Bäumen. Der Kampf gegen den Gottbettler war weit, weit weg. Was zählte, war das Hier und Jetzt, das lange nicht mehr genossene Gefühl der Freiheit und der Unabhängigkeit.
Pirmen und Terca stichelten einander den gesamten Ritt lang, und Rudynar Pole sah keinen Grund, für eine der beiden Seiten Partei zu ergreifen. Die alte Vettel und der Krüppel waren einander in gewisser Weise ähnlich. Die Hexe gab sich griesgrämig und sparte nicht an bösen Kommentaren, und Pirmin tat sein Bestes, um ihr Kontra zu geben. Doch wenn er hin und wieder nicht mit Terca stritt, verbesserte und verfeinerte er seine Fähigkeiten. Er ließ unschuldige Tiere in Explosionen vergehen, zerstörte Wald durch Brände oder ließ Wasser weit über die Ufer treten, ohne auch nur für einen Augenblick lang an die Konsequenzen seines Tuns zu denken.
Als ihm ein unbedarfter Bauer nicht sofort Auskunft über den weiteren Weg geben konnte, trieb er ihm einen Dorn in die Stirn, den er einfach aus dem Nichts herbeizauberte und der so lang war, dass er an der Rückseite wieder austrat, und als sich das jammernde Weib des Mannes verzweifelt über ihn warf, tötete er auch sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Es ist genug«, sagte Terca schmallippig und bleich geworden.
»Das ist erst der Anfang!« Pirmen ballte seine verbliebenen Finger zur Faust. »Hätte ich gewusst, wie es ist, über solche Kräfte zu verfügen, dann …«
»Was dann?«, fiel sie ihm ins Wort. »Hättest du dir die Glieder selbst amputiert oder einen anderen darum gebeten? Hättest du es Gafelay gleichgetan und die Gesetze deiner Mitbrüder gebrochen? Bloß, um dieses scheinbare Gefühl der Macht zu spüren?«
»Was weißt denn du?« Pirmen grinste böse. »Mir wurde ein Tor zu einer anderen Welt aufgestoßen. Zu einer Welt der Wunder.«
»Zu einer Welt des Grauens! Ich beschwöre dich, Magicus: kehr um! Du beschreitest den falschen Weg!«
Der Kleine lachte. »Du hast bloß Angst vor mir,
Weitere Kostenlose Bücher