Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Fluch des ewigen Lebens war gelöst. Er starb im Kampf. Diesmal würde keine Hexe zu seiner Rettung kommen und entfleuchtes Leben in seinen Leib zurückzwingen. Oder? Würde ihn der Fluch auch diesmal daran hindern, dieses Jammertal der Lebenden zu verlassen?
Rudynar Pole dachte an weite, grüne Felder. An eine Ernte, die eingebracht werden musste. An seine Brüder und ihn, wie sie sich weigerten, dem Vater zu helfen, und wie sie stattdessen dem Lockruf eines Anwerbers folgten und die heimatliche Scholle verließen, dieses nach feuchter und schwerer Erde riechende Stück Land, nach dem er sich seither verzehrte. Wie gern hätte er es noch einmal gesehen.
Stattdessen blickte er in die hässliche Fratze Marmer Dunnes, der von seinen Kameraden eben hochgehoben wurde und über ihm zum Stehen kam.
Was für eine Willensleistung! Der Scheißkerl hätte längst tot sein müssen. Stattdessen klammerte er sich an sein Leben, bloß, um einen letzten kleinen Triumph zu feiern.
Man redete auf ihn ein. Der Rechte schüttelte den Kopf. Ließ sich ein Langmesser in die Hand drücken. Grinste. Spuckte ihm Blut ins Gesicht. Deutete den Soldaten, ihn loszulassen.
Sie gehorchten. Marmer Dunne sank mit nach vorn gestreckter Waffe auf ihn herab. Er sagte etwas, das Rudynar Pole nicht verstand. Halbblind starrte er auf die unendlich langsam näher kommende Klinge. Er beobachtete, wie sie seinen Wanst durchdrang und sich zwischen zwei Rippen in sein Fleisch bohrte.
Er hätte so gern gelacht. Marmer Dunne war schon immer schlecht im Zielen gewesen. Selbst jetzt noch hatte er sein Herz verfehlt. Doch es war egal. Sein Körper versagte, mindestens drei seiner Verletzungen waren tödlich, und er verlor viel zu viel Blut. Er fühlte das Leben aus seinem Leib fließen. Wie Luft, die aus einer undichten Schweineblase entwich.
Ein Schatten senkte sich über ihn, die Stimmen der Soldaten entfernten sich. Es war getan, er hatte ausgelitten. In der Ferne hörte er einen Schrei, dann war es zu Ende.
Mit einem Mal herrschte unbeschreibliches Durcheinander. Die feierwütigen Bürger Haimes wurden von Bewaffneten zurückgedrängt, irgendwo in der Menge schrie jemand schmerzerfüllt auf, Leute rempelten und stießen. »Feuer!«, schrie eine Frau und deutete auf grelle, hohe Flammen, die auf einmal auf einem hölzernen Vorbau tanzten, das Erdreich senkte sich merklich ab, eine Glasscheibe zerbarst in tausend Scherben. Menschen gerieten in Panik und rannten sich gegenseitig über den Haufen. Auch die Bewaffneten wirkten unsicher. Sie reagierten, indem sie die Bürger mit noch mehr Brutalität behandelten und sie von der Straße prügelten.
»Was geht da vor sich?«, fragte Pirmen. Er schüttelte den Kopf. »Sind wir das etwa?«
»Das könnten wir bewirken, wenn wir zusammenarbeiteten.« Terca überlegte, ob sie es dem jungen Magicus erklären sollte, ließ es dann aber bleiben. Vielleicht ein anderes Mal. »Ich befürchte, dass der Hohe Herr das Durcheinander bewirkt.«
»Du befürchtest?«
»Er macht es unbewusst. All seine Fähigkeiten und Gaben machen sich bemerkbar, weil …«
»… weil er stirbt«, sagte der Stumme Junge mit seiner glockenhellen Stimme. Er lächelte sie beide traurig an und fiel zurück in düsteres Schweigen. Er war für einen Moment in der Wirklichkeit gewesen und hatte sich gleich wieder in jene fremden Welten zurückgezogen, in denen er den Großteil seines Lebens verbrachte.
Terca zog ihn mit sich, hin zu den Soldaten. Wenn Rudynar Pole starb, machte auch ihrer aller Existenz keinen Sinn mehr. So zumindest hatte es ihre Schwester behauptet. Sie mussten sich zu erkennen geben, das Wirtshaus stürmen, in dem sie den Hohen Herrn wusste, ihn befreien, ihn mit sich nehmen und flüchten. In Zusammenwirken mit Pirmen mochte es gelingen. Sie vertraute dem Magicus zwar keinen Schritt weit, doch in Momenten der Gefahr hatten sie bislang gut harmoniert. Ihre Kräfte verschmolzen dann und wurden zu etwas Größerem.
»Pirmen …«
Er reichte ihr wortlos die Hand und stützte sich an ihr ab. Der Stumme Junge blieb hinter ihnen. Terca fühlte seine regelmäßigen Atemzüge. Er wirkte keinesfalls irritiert oder gar beunruhigt. Der nahende Tod des Begleiters schien ihn kaum zu interessieren.
Sie trat auf den Soldatenkordon zu, sammelte ihre Dusus, machte sich für den Angriff bereit. Pirmen neben ihr bereitete sich ebenfalls vor. Er machte ähnliche Konzentrationsübungen wie sie, allerdings nicht mit jener Intensität, die sie
Weitere Kostenlose Bücher