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Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Der Gottbettler: Roman (German Edition)

Titel: Der Gottbettler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Pirmen.
    »Der Junge gibt das Tempo vor.« Auch sie musste sich beeilen, wollte sie ihren stummen Begleiter nicht aus den Augen verlieren. Er ging an einer üblen Spelunke vorbei, dessen Publikum sie interessiert beobachtete. Etwa zehn von ihnen trugen Schwerter und Waffenröcke. Sie gehörten zu jenen aus dem Heer des Gottbettlers, die auf jeden ihrer Schritte achteten.
    Ausgetretene Stufen führten zum Fluss hinab. Es stank nach verfaultem Fisch, nach Erbrochenem und nach Pisse. Entlang des Gewässers, das ein trübes Grau zeigte, waren Berge von Müll und Gerümpel angehäuft.
    »Ich fühle ihn!«, sagte Pirmen und riss auf einmal die Augen weit auf.
    »Erst jetzt? Ich spürte ihn bereits, als wir die Brücke überquerten.«
    Ärgere dich über meine Worte, mein Junge. Dein Zorn wird dir beim kommenden Kampf helfen.
    Ein ausgetretener Weg führte am Ufer entlang. Der Blick aufs Wasser war ihnen durch die Müllberge verwehrt, der Gestank wurde unerträglich. Scharen dicker Fliegen umkreisten die Abfälle einer modernen Zivilisation, Ratten und anderes Getier huschten aufgeregt hin und her. Terca meinte, auch den Leib einer riesenhaften Schlange wahrzunehmen, die sich durch Lücken wand.
    »Das ist sie«, sagte Terca und deutete auf den wohl höchsten Abfallturm der Insel. »Die Zitadelle des Gottbettlers. Das Symbol seiner Macht.«
    Eine hochgewachsene Gestalt schob sich an verfaulten Holzträgern vorbei auf den kleinen Platz vor dem Müllhaufen. Sie wirkte ausgemergelt und zitterte wie ein Schwerkranker.
    »Darf ich vorstellen: der Gottbettler«, sagte Terca. »Unser aller Hybris.«
    Er betrachtete die drei Gestalten. Nicht dass er sie wirklich anblickte. Diese Ehre ließ er niemandem zuteilwerden. Doch er ertastete ihre Sinne, ihre Kräfte, ihre Fähigkeiten, kurzum: all das, was diese Wesen ausmachte.
    Alle drei wirkten sie auf ihre Weise kraftvoll. Doch jeder für sich allein betrachtet, waren sie nichts. Unbedeutende Geschöpfe, die es kaum verdienten, dass man sich länger als wenige Augenblicke mit ihnen beschäftigte.
    Sie waren gut aufeinander eingespielt. Der Klang von Wicca und Magicus hatte nur wenig Disharmonie, und der Junge tat alles, was in seiner Macht stand, um die beiden so unterschiedlichen Wesen zusammenzuhalten.
    Doch es fehlte ihnen das entscheidende Element, um ihm auch wirklich gefährlich werden zu können. Der Mann mit den goldenen Augen, der von einer Sibylle berührt worden war und damit eine Immunität gegen seine Kräfte besaß. Er allein wäre imstande gewesen, ihn zu töten.
    Der Gottbettler blickte den Ankömmlingen gelassen entgegen. Er fiel ihm zwar schwer, die Konzentration zu halten, doch er hatte gelernt hinzusehen, ohne sich wirklich um die Wesen rings um ihn zu kümmern.
    Der Stumme Junge war in der Tat so wie er. Er verfügte über eigentümliche Kräfte, die womöglich sogar stärker ausgeprägt waren als seine eigenen. Doch er hatte keine Ausbildung erhalten wie er, dazumal, in den magischen Türmen Griams. Auch hatte der Stumme Junge niemals gelernt, sich mit seiner Umwelt in Verbindung zu setzen. Er war in sich selbst versunken, in seiner Traumwelt, die um so vieles schöner war als jene Welt, in der Gewalt, Traurigkeit und mannigfacher Schmerz regierten.
    Ich sollte ihn verschonen und ihn lehren, mit sich selbst zurechtzukommen, überlegte er, tat den Gedanken aber gleich wieder ab. Die Welt war so, wie er sie sich erträumte und wie er sie sich schuf, nur für einen wie ihn bestimmt. Dort war kein Platz für diesen Jungen.
    Der Gottbettler schloss die Augen, kehrte für eine Weile zurück in die Stille seiner eigenen Sphäre und schöpfte so viel Kraft wie möglich. Er verlor sich im Farbenchaos und in Rechenbildern, die sich wie riesige Bauwerke übereinandertürmten. Formen, Kreise, Dreiecke und Rechtecke vermengten sich, schoben sich ineinander und ergaben etwas vollkommen Neues, das in der Welt der Barbaren nicht existierte. Es spiegelte sich in der Zeit und wurde als uralter Schatten zurückgeworfen, um sich in der Vergangenheit zu verlieren. Ein Wesen, das aus Worten bestand, irrlichterte durch labyrinthische Gänge, die er aus Milch und Brot errichtet hatte und die nur für wenige Augenblicke Bestand hatten; gleich darauf lösten sie sich in einer riesigen Lache auf, deren Oberfläche ölig schimmerte. Der Gottbettler sah sein Antlitz darin gespiegelt, ein Gesicht, das aus unzähligen Fragmenten bestand und immer weiter zerfaserte, bis sich die winzigsten Teile

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