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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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verloren, die ich sehr geliebt habe. Sie ertranken vor meinen Augen. Ich konnte sie nicht retten. Ich war so verzweifelt, dass ich jahrelang dachte, ich könnte nicht mehr lieben.«
    »Ein furchtbares Gefühl«, sagt sie sanft und streichelt meine Hand – ein sanfter Schauer rieselt wohlig durch meinen Körper. »Als ob du stirbst, während du noch lebst, fühlst, hoffst, an den geliebten Menschen denkst, den du verloren hast, und jeden Tag die Einsamkeit erträgst.«
    »Ja.« Sachte berühre ich ihre Finger mit den Lippen.
    Endlich blickt sie auf. Tränen funkeln in ihren Augen, als sie mir zärtlich über das Gesicht streicht und sich über mich beugt, um mich zu küssen. Ein warmes Gefühl von Geborgenheit durchströmt meinen Körper. Behaglich seufzend räkele ich mich unter ihr in die Seidenkissen.
    »Wir sind nicht allein, Alessandra«, flüstere ich erregt und erwidere ihren Kuss. »Wir sind nicht allein.«
    »Nein«, haucht sie, umarmt mich und hüllt mich in den duftenden Schleier ihres Haares. Eine Träne rinnt an ihrer Wange herab, während sie mich in die weichen Kissen drückt und leidenschaftlich küsst.

    Plötzlich höre ich Schritte, die rasch lauter werden.
    Die Tür wird aufgerissen, und Uthman stürmt herein. »Yared, bitte vergib mir! Ich weiß, du willst nicht gestört …«
    Er verstummt, als er Alessandra und mich in inniger Umarmung auf dem Diwan liegen sieht.
    Ich löse mich aus ihren Armen, setze mich auf und schlüpfe wieder in die Ärmel der Djellabiya, die sie mir über die Schultern gestreift hat. »Uthman, was ist denn?«
    »Eine Taube. Aus Al-Kahira.« Mit zitternder Hand reicht er mir die zerknitterte Nachricht.
    »Was ist geschehen?«, frage ich beunruhigt, während ich das winzige Papier entfalte.
    »Vater ist heute Morgen zusammengebrochen.«
    Wie erstarrt hockt Alessandra neben mir und rafft das blaue Seidengewand um sich, das ihre Brüste weich umschmeichelt und von der entblößten Schulter zu gleiten droht. Mit aufgerissenen Augen blickt sie Uthman und mich an. Sie hat nicht verstanden, was er gesagt hat. Er spricht Tscherkessisch.
    »Allah sei ihm gnädig.« Hastig überfliege ich die hingekritzelte Nachricht von Jadiya. Sie ist bei ihrem Vater gewesen, um mit ihm über unsere Hochzeit zu sprechen. »Starke Schmerzen in
der Brust … Schweißausbrüche … Erbrechen … Verwirrtheit … Bewusstlosigkeit … Allmächtiger Gott, wie es scheint, hatte er einen schweren Anfall.«
    »Wenn er stirbt … werde ich den Thron besteigen«, flüstert Uthman verstört. Er taumelt und hält sich an meiner Schulter fest. »Yared, wir müssen so schnell wie möglich zurück nach Al-Kahira.«

· Alessandra ·
Kapitel 31
    Im armenischen Viertel
    17. Dhu’l Hijja 848, 20. Nisan 5205
    Karsamstag, 27. März 1445
    Acht Uhr dreißig morgens

    »Und dann?«
    »Yared war blass, und seine Hände haben gezittert. Aber er war erstaunlich besonnen. Sehr resolut hat er Uthman beruhigt, der um das Leben seines Vaters fürchtete. Dann hat er ihn in seine Räume begleitet, um sich mit ihm zu beraten.«
    »Werden die beiden nach Kairo zurückkehren?«, fragte Tayeb, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aufgesetzt hatte, damit ich die Kissen hinter seinem Rücken aufschütteln und zurechtklopfen konnte.
    »Vorerst nicht«, erwiderte ich. »Besser so?«
    »Ja, viel besser«, knirschte er. »So kann ich den Arm auf einem Kissen abstützen.«
    »Hast du Schmerzen?«
    »Ja, und wie.«
    »Soll ich dir Opium geben?« Ich deutete auf die Phiole auf dem Tisch neben seinem Bett.
    Tayeb schüttelte den Kopf. »Yared kommt nachher, um sich die Wunden anzusehen und die Verbände zu wechseln. Ich will wach bleiben und ihn fragen, ob er meinen Arm retten kann. Aber erzähl weiter.«
    »Eine Stunde später kam er, um mit mir zu reden. Ich war schon im Bett. Er setzte sich neben mich, nahm meine Hand und hielt sie fest. Uthman, Arslan und er werden Jerusalem nicht verlassen, da sie frühestens in zehn Tagen in Kairo sein würden – bis dahin kann der Sultan längst tot sein. Während der Reise wären sie für Brieftauben nicht erreichbar, sodass sie nicht wussten, was in Kairo geschieht. Wenn Jaqmaq stirbt, sagt Yared, sei es besser, wenn er sich nicht in Kairo aufhalte. Er fürchtet ein Massaker unter den Königsmamelucken, den Söhnen und den Vertrauten des Sultans. Uthman als Thronfolger und Arslan als angehender Schwiegersohn des Sultans seien ebenso gefährdet wie er selbst. Sie warten ab, was Jadiya zu berichten

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