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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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hat.«
    »Und dann?«
    »Dann hat er mich geküsst und ist zu Bett gegangen. Nach dem Attentat letzte Nacht war er erschöpft.«
    »Du liebst ihn.«
    Ich nickte. »Seine Eleganz, seine Kultiviertheit, seinen Charme …«
    »… ganz zu schweigen von den rätselhaft dunklen Augen und seinem wohlgeformten Körper, der deine erotische Fantasie anregt. Du freust dich über die begehrlichen Blicke, mit denen er dich umschmeichelt. Du genießt es, dich von ihm liebkosen und küssen zu lassen. Und du sehnst dich nach mehr.«
    »Ja, aber das ist es nicht allein.« Ich atmete tief durch. »Yared hüllt sich in einen Kokon, der ihn vor dem Leid schützt, das er während der Jahre seiner Flucht von Granada nach Kairo durchlitten hat, vor Entbehrung, Misshandlung, Unfreiheit und der Erinnerung an den Tod seiner geliebten Frau und seines kleinen Sohns. Er umgibt sich mit Ehrentiteln, Verantwortung und Macht, mit verschwenderischem Luxus, Sinnlichkeit und Lebensfreude, genießt das Leben in vollen Zügen und hat eine leidenschaftliche Affäre mit einer Prinzessin, die er gar nicht liebt. In der Glückseligkeit des Haschischrauschs will Yared die Zeit des Leidens vergessen.
    Doch als er gestern Mittag vor der Entscheidung stand, mit seiner Vergangenheit zu brechen, sein Judentum zu verleugnen und zum Islam zu konvertieren, hat er gezögert, diesen Kokon für immer hinter sich zu verschließen. Letzte Nacht, als er auf meinem Bett saß und meine Hand hielt, habe ich einen Menschen gesehen, der sehr einsam ist. Und sehr liebenswert.«
    Tayeb drückte mit einem traurigen Lächeln meine Hand. »Yared und du – glaubst du, eure Liebe hat eine Zukunft?«

    »Da vorn ist das Markuskloster!«, ruft Karim und reißt mich aus meinen Erinnerungen.
    In der Hoffnung auf einen weiteren Tag voller aufregender Abenteuer während der Suche nach dem Tempelritter haben er und seine Freunde mich vor dem Tor der Zitadelle erwartet.
    Elija hält mich mit beiden Händen fest und zerrt mich durch die engen Gassen. »Schau, die Teppichhä-händler öffnen ihre L-Läden!«, ruft er fröhlich und zeigt auf die Holzgestelle mit Gebetsteppichen aus dem Kaukasus, aus Täbriz und Shiraz, Ghom, Hamadan und Isfahan. Der heiße, trockene Khamsin aus der judäischen Wüste trägt den köstlichen Duft von Baklava, Pistazien, gebrannten Mandeln und Rosenwasser durch die verwinkelten Gassen des armenischen Viertels. »S-sieh nur, wie viele Pilger mit blauen Turbanen heute unterwegs sind. Alle wollen zur Grabeskirche, um das H-Heilige F-Feuer zu sehen. Sehen wir uns das n-n-nachher auch an? Wenn du aus dem Kloster zurückkommst? O bitte! Rabbi Eleazar hat g-gesagt, ich darf es mir nicht ansehen. Ich will aber! Da, guck mal, da vorn werden Orangen verkauft. Meinst du, ich kann nachher eine haben?«
    Und so geht es, ohne dass er auch nur ein Mal Luft holt, ohne Punkt und ohne Komma weiter. Ich kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen, lasse mich von seiner Begeisterung anstecken und genieße sein fröhliches Geplapper, während ich seine herumtobenden Freunde beobachte. Sie machen sich einen Spaß daraus, mit ihren Sandalen möglichst große Staubwolken aufzuwirbeln, die der Khamsin als feine rötlich gelbe Staubschicht auf die Gebetsteppiche niederrieseln lässt. Als ein armenischer Händler fluchend aus dem Laden stürzt, stieben die Lausebengel kichernd auseinander und flitzen johlend in Richtung des syrischen Klosters.
    Einen Kommentar erspare ich mir. Habe ich nicht als Kind ›Blutrache‹ am heiligen Dominikus geübt und seine Marmorstatue im Vatikan mit blutigen Stigmata aus Messwein verziert, den ich aus der Sakristei von San Pietro entwendet hatte? Und die rasselnden Gebeine des ›Teufelspapstes‹ Sylvester II ., Gerbert d’Aurillac, die die Benediktinermönche im Lateran in Angst und Schrecken versetzt haben? Weil es in Rom heißt, dass Gerberts klappernde Knochen wie eine Totenglocke ankündigen, dass der amtierende Papst im Sterben liegt? Ich hatte ebenso viel Unsinn im Kopf.
    Vor dem Portal des Konvents, das dem Evangelisten Markus geweiht ist, blicke ich mich um. Doch weder der Basilianer im schwarzen Habit, der mich gestern verfolgt hat, noch die Christusritter lassen sich blicken. Dafür folgt mir nun auf Schritt und Tritt ein Dominikaner – Ende zwanzig, hochgewachsen und schlank, gepflegte Hände mit zarten, geschmeidigen Fingern, die unablässig in Bewegung sind, ein schönes Gesicht mit großen, dunklen, warm leuchtenden Augen, lockiges Haar und

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