Der Gottesschrein
Handschriften wie die Baruch-Apokalypse, die nun ein syrischer Mönch übersetzt. Dom Tristão habe vor, ihn zu ermorden, sobald er den Papyrus in Händen halte. Sie wolle den Mönch warnen und morgen die Handschrift zurückholen, die angeblich den Ort bezeichne, wo die Bundeslade verborgen sei.
»Kannst du Aramäisch lesen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Leider nicht.«
»Ich schon. Wir könnten den Papyrus gemeinsam übersetzen.«
Da ist wieder das Leuchten in ihren Augen!
Ich bin nicht weniger hoffnungsvoll als sie, die Bundeslade zu finden, das Symbol der Freiheit.
»Als ich dich letzte Nacht fragte, warum du dich als Christin für das Judentum interessierst, hast du gesagt, dass du jüdische Vorfahren hast.«
Sie trinkt einen Schluck, stellt den Becher neben sich und lehnt sich in die Kissen. »Mein Vater wurde vor sechs Jahren wegen des vergessenen Evangeliums ermordet. In seinem Nachlass fand ich eine verschlossene Truhe, die ich zuvor erst ein einziges Mal gesehen hatte: als mein Vater mich aus dem Kerker der Inquisition befreite und mit mir nach Florenz geflohen ist. Kennst du die Geschichte?«
»Benyamin hat sie mir erzählt. Einer der Gegner deines Vaters im Kardinalskollegium ersann eine perfide Intrige, um den mächtigen Inquisitor zu stürzen, der für den abwesenden Papst die Stadt Rom regierte. Er ließ deine Mutter und dich in den Kerker der Inquisition entführen. Dein Vater, der erst wenige Tage zuvor erfahren hatte, dass er eine dreijährige Tochter hat, sollte über euch richten. Als deine Mutter unter der Folter starb, entkam dein Vater mit dir aus Rom.«
Sie nickt versonnen. Dann sieht sie mich an. »Nach unserer Flucht habe ich die Lade nie wieder gesehen – bis ich sie nach dem Tod meines Vaters wiederfand. Bis dahin hatte ich geglaubt, meine Großeltern seien 1401 an der Pest gestorben. Ihr Tod war der Grund, dass Luca sein Studium in Byzanz aufgab, nach Italien zurückkehrte und in Santa Maria sopra Minerva in Rom in den Dominikanerorden eintrat.«
»Was war drin?«
»Ein Tallit, Tefillin und Schabbatlampen aus Silber, die vermutlich in Córdoba hergestellt wurden, bevor die Christen die Stadt eroberten. Und eine silberne Mesusa, die an den Tempel gemahnt. Darin steckte noch das gefaltete Pergament mit dem Schma Israel.«
»Wie hieß dein Großvater?«
»Girolamo d’Ascoli. Ich habe im jüdischen Viertel in Rom nachgeforscht und schließlich einen alten Rabbi gefunden, der sich noch an ihn erinnern konnte – er ist sein Talmid, sein Schüler, gewesen. Vor seiner überstürzten Flucht vor der Inquisition war mein Großvater in Rom als Rabbi Akiva ben Samuel bekannt. Aus der Familie Kohen.«
»Du bist eine Nachfahrin der Kohanim, der jüdischen Tempelpriester. Du bist mit Moses’ Bruder Aron verwandt. Und mit Zadok, der die in der Schlacht verloren gegangene Bundeslade nach Jeruschalajim zurückbrachte. König Salomo hatte ihn zum Hohepriester ernannt.«
»Yared, ich bin keine Jüdin«, erinnert sie mich ernst. »Mein Vater war ein getaufter Christ, ein Mönch und Priester, der jahrelang eine geheime Truhe mit sich herumschleppte, in die er seine jüdische Herkunft eingeschlossen hatte. Als Inquisitor und Stellvertreter von Papst Martin in Rom hat mein Vater unzählige jüdische Conversos vor dem Scheiterhaufen bewahrt.
Das Wissen um seine jüdische Herkunft muss ihn innerlich zerrissen haben, doch nicht einmal mir hat er sich anvertraut. Stattdessen hat er sich jahrelang blutig gegeißelt. Mein Vater war Christ, Yared, kein Jude. Und als seine Tochter bin ich Christin.«
Sie lächelt gequält.
»Der jüdische Zweig meiner Familie hat die Bundeslade geschaffen und gemeinsam mit König Salomo den Tempel errichtet, der römische Zweig hat unter Titus den Tempel zerstört und den Tempelschatz mit der Menora nach Rom gebracht. Wie kann ich mich als Römerin mit jüdischen Vorfahren für eine der beiden Seiten entscheiden? Ich kann meinen Glauben nicht einfach ablegen und mich zu einem neuen bekennen.«
»Hast du dich dem Papst anvertraut? Benyamin hat mir erzählt, dass ihr euch sehr nahesteht.«
»Nein, er weiß es nicht. Nur Leonardo war dabei, als ich jene Truhe öffnete. Er war so bestürzt wie ich. Luca war sein Freund.«
»Leonardos Tod hat dich erschüttert.«
Sie nickt traurig. »Ich habe ihn an jenem Morgen gefunden. Mit seinem Blut hatte er das Kreuz der Unschuld auf den Boden gemalt.«
»Was ist in Rom geschehen?«
Sie erzählt mir, Dom Tristão habe in der
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