Der Gottesschrein
gekauft haben. Se Cristo vedesse!, denke ich mit einem resignierten Kopfschütteln. Wenn Christus das sehen könnte!
Auf der anderen Seite des Hofs wachen zwanzig oder fünfundzwanzig Mamelucken über einen Frieden, der seit dem Aufsehen erregenden Auftritt des italienischen Franziskanermönchs am Karfreitag in der Al-Aqsa gefährdet ist. Muslimische Gläubige haben gestern in ihrem ›heiligen Zorn‹ christliche Symbole verbrannt und Pilger aus Venedig, Florenz und Rom auf offener Straße verprügelt. ›Tötet die, die den Islam beleidigen! Richtet alle, die behaupten, der Islam sei eine gewalttätige Religion!‹ Ob sich wohl einer der Misshandelten erhoben hat, um mit lauter Stimme zu bekennen, der Islam sei eine Religion des Friedens und der Barmherzigkeit? Wohl kaum. Die tobenden Muslime hätten zur Ehre Gottes eine lateinische Kirche in Brand gesteckt, wenn Yareds Mamelucken nicht mit Waffengewalt eingeschritten wären.
Angesichts dieses irrsinnigen jüdisch-christlich-muslimischen Ausnahmezustands drängt sich mir die Frage auf, wie man glauben kann, Gott bedürfe einer derart gewalttätigen Verteidigung. In der Vergangenheit waren Jahwe, der Schöpfer und Zerstörer, der Befreier, der Gesetzgeber, der Stifter eines jüdischen und eines christlichen Gottesbundes, und Allah, der Barmherzige, der Herrscher am Tage des Gerichts, der die Muslime auf den rechten Pfad des Glaubens führt, durchaus in der Lage, ohne menschlichen Beistand für ihre himmlische Machtpolitik einzutreten. Wer, wenn nicht Jahwe und Allah – Gott ist eins, und nur einer ist Gott. La ilaha illa-llah – es gibt keinen Gott außer Gott.
Mit den Jungen, die wie Kletten an mir hängen, schiebe ich mich durch die Menge zum Portal der Grabeskirche, wo einige Pilger mit tränenüberströmtem Gesicht die Säulen neben dem Tor küssen und mit Gebetstüchern aus weißem Damast abreiben, während sie darauf warten, eingelassen zu werden. Dieses Ritual werden sie am Salbungsstein wiederholen, wo Jesu Leichnam in der Nacht des Karfreitags für das Begräbnis gesalbt wurde.
Die Lausebengel erstürmen johlend die Treppe seitlich des Portals, die zum Golgatafelsen hinaufführt, als gelte es, Jerusalem zu erobern. Kichernd hocken sie sich auf die Stufen, während die nachdrängenden Pilger mich mit ungeduldigen Stößen und Knüffen in die Basilika schieben. Ich suche mir einen Platz unter der Kuppel, von dem aus ich den Eingang des Heiligen Grabes überblicken kann.
In der Finsternis der abgedunkelten Kirche treten die Pilger unruhig von einem Fuß auf den anderen und tuscheln – das Heilige Feuer, das Symbol der Auferstehung Christi, wird bald entfacht. Das Ritual, das der griechische Patriarch vollzieht, ist einer der Höhepunkte der orthodoxen Osterfeier. Es scheint, als ob alle mit angehaltenem Atem und Tränen in den Augen auf die Ankunft des Messias warten.
Inmitten einer feierlichen Prozession aus Erzbischöfen, Priestern und Diakonen schreitet der griechische Patriarch zum Heiligen Grab, durch dessen weit geöffnete Tür ein goldenes Leuchten dringt. Er wird in der Grabkammer beten, bis sich das Heilige Feuer von selbst entzündet.
Während die ersten ›Kyrie eleison, Christe eleison‹-Rufe laut werden – »Herr, erbarme dich unser!« und »Schenk uns das Licht des Glaubens!« –, muss ich unwillkürlich an den Scoppio del Carro in Florenz denken, ein jahrhundertealtes Ritual aus der Zeit des ersten Kreuzzugs. Als die Kreuzfahrer 1099 Jerusalem eroberten, erklomm ein Florentiner namens Pazzino de’ Pazzi als Erster die Festungsmauern und hisste das christliche Banner über der Heiligen Stadt. Als Dank schenkte ihm Godefroy de Bouillon, der Regent des Königreichs Jerusalem, drei Feuersteine aus dem Grab Jesu, die Pazzino zwei Jahre später nach Florenz brachte. Mit diesen heiligen Steinen wird jedes Jahr am Karsamstag in der Kathedrale das Osterlicht entzündet, das der Erzbischof an die Florentiner verteilt. Welch ein Spektakel war das gewesen, als Papst Eugenius noch in Santa Maria Novella residierte und im Pontifikalornat mit dem Osterlicht auf den Stufen von Santa Maria del Fiore erschien!
Ein geschmückter Wagen voller Feuerwerkskörper steht am Karsamstag vor der Kathedrale – in dem ausgelassenen Geschiebe, wenn die Florentiner ihre Osterkerzen entzünden, geht der Karren in Flammen auf und explodiert mit großem Getöse. Der Funkenregen, so sagt man in Florenz, verheiße Glück. Mir brachte er nur Trauer, Schmerz und
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