Der Gottesschrein
nicht helfen. Er hatte Tränen in den Augen, als er sich vor einer Viertelstunde verabschiedete.«
Ich bin bestürzt. Sollte ich nicht doch noch einmal in versöhnlicherem Tonfall mit Aron reden? Mich ihm anvertrauen? Ihm in aller Besonnenheit darlegen, was ich vorhabe? Ich zögere. Und wenn Jaqmaq meinem Vorschlag nicht zustimmt? Wenn er mich nicht gehen lässt, weil er fürchtet, mich für immer zu verlieren?
Ich blicke Uthman an. »Wo ist Aron jetzt?«
»Auf dem Weg nach Akko, nehme ich an.«
»Nach Akko? Er hat Al-Quds verlassen, ohne sich von mir zu verabschieden?«
»Er sagte, er habe keine Zeit mehr zu verlieren. Sein Sultan brauche ihn im Kampf gegen die Christen.« Uthman blickt mich besorgt an. »Yared? Was ist?«
Mit zitternden Knien sinke ich auf den Diwan und verberge das Gesicht in beiden Händen.
Uthman legt die Tasbih-Perlenschnur auf den Tisch, geht zu einem niedrigen Tisch, füllt ein Glas mit kühlem Sherbet und setzt sich neben mich auf den Diwan. Er reicht mir das Glas. »Was ist? Siehst blass aus.«
Ich trinke einen Schluck von dem erfrischend kalten Zitronensaft. Aber meinem Freund kann ich nichts vormachen. Meine Tränen stammen nicht von den Eiskristallen im Sherbet.
Uthman legt mir sanft eine Hand auf die Schulter. »Du hast Heimweh.«
Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Muhammad hat dich gefragt, ob du zurückkommst.«
»Ja.« Ich wische mir die Tränen aus den Augen und stürze durstig das Sherbet hinunter. »Letzte Nacht habe ich Vater geschrieben, den Brief nach Jadiyas Hiobsbotschaft jedoch nicht abgeschickt. Ich will mit ihm über Muhammad reden.« Ich atme tief durch. »Ich will ihn bitten, mich im Namen des Sultans von Gharnata mit den Königen von Kastilien, Aragón und Portugal verhandeln zu lassen. Ich will Muhammad die Hand zur Versöhnung reichen. Ihm vergeben, was er mir angetan hat. Ihm mit Rat und Tat beistehen, wie er mir nach dem Massaker an meiner Familie zur Seite gestanden hat. Und ich will Gharnata wiedersehen.«
Uthman schweigt eine Weile. »Aron war so verzweifelt wie du«, offenbart er mir schließlich.
»Kann ich mir vorstellen.« Ich stelle das Glas auf den Tisch.
»Noch einen?«
»Wie steht es um deine ›medizinischen‹ Vorräte?«
Uthman erhebt sich wortlos, holt eine Karaffe mit türkischem Anisschnaps, den ihm der Koran wie der Hadith verbieten, und schenkt mir großzügig ein Glas ein. »Eis?«
»Mhm.«
Er holt eine Handvoll Schnee vom Berg Hermon aus einer Holztruhe und lässt sie in den Raki gleiten, was die wasserklare Aslan Sütü, die ›Löwenmilch‹, milchig-trüb verfärbt und herrlich kühlt. Spontan entscheidet er, dass auch er einen Schluck ›Medizin‹ zur Beruhigung vertragen könnte, und schenkt sich großzügig ein. Dann reicht er mir mein Glas und mustert mich besorgt, als ich den scharf gebrannten Anisschnaps mit einem großen Schluck hinunterkippe und wegen der Eiskristalle und des intensiven Geschmacks nach Lakritze das Gesicht verziehe.
»Tut mir leid, Yared. Ich habe noch eine Hiobsbotschaft.« Er zögert, als könne er mir das, was er zu sagen hat, nicht auch noch zumuten. Derweil schenke ich mir noch einen Raki ein.
Uthman trinkt einen Schluck. »Yared, da ist noch etwas, das du wissen solltest. Arslan war gerade bei mir …«
· Alessandra ·
Kapitel 35
Im Kreuzgang des griechisch-orthodoxen Patriarchats
17. Dhu’l Hijja 848, 20. Nisan 5205
Karsamstag, 27. März 1445
Wenige Minuten nach elf Uhr
»Kyria Alessandra?«, spricht mich Joachims Sekretär an, während ich im Schatten der herrlich duftenden Orangen- und Zitronenbäume sitze, wo die Gluthitze der niederbrennenden Sonne erträglicher ist. Mit einem Glas kühler Limonade warte ich auf Joachims Rückkehr aus der Grabeskirche.
»Bruder Athenagoras.« Ich stelle das Glas auf die Brüstung des Säulenganges und erhebe mich.
Sein Lächeln wirkt angestrengt. »Seine Seligkeit ist nun bereit, Euch zu empfangen.«
»Evcharistó.«
Der junge Basilianermönch geleitet mich, während er beständig das Herzensgebet ›Herr Iesous Christos, Sohn Gottes, hab Erbarmen mit mir Sünder‹ vor sich hin fispelt, die Treppe empor ins obere Geschoss.
Im Vorzimmer sind auf einem Tisch die Osterspeisen angerichtet, die der Patriarch am Karsamstag segnen soll: die rot gefärbten Ostereier als Symbol der Auferstehung und des neuen Lebens und runde Osterbrote auf bestickten Tüchern, die ein Kreuz und die Initialen von ›Christos ist auferstanden‹
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