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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Einsamkeit – denn Niketas starb wenige Tage später. Seitdem bin ich nur selten in Florenz gewesen, wo wir so glücklich waren …
    Ein Seufzen weht durch die Menge der Pilger, als wie ein Blitz, der vom Himmel niederfährt, ein blassblaues Flackern das goldene Leuchten aus dem Heiligen Grab überstrahlt.
    Die Gläubigen jubeln: »Christos ist auferstanden!«, singen und beten, während die Glocken der Grabeskirche zu läuten beginnen. Viele tanzen mit Ikonen im Arm und schwenken Kerzen über dem Kopf. Das Osterfeuer ist entfacht! Die Auferstehung des Gottessohnes und Erlösers hat begonnen! Gott erbarmt sich seines auserwählten Volkes!
    Am Portal der Grabkammer erscheint Patriarch Joachim mit zwei silbernen Leuchtern mit brennenden Kerzen.
    »Beendet das Töten, und lasst ab von der Gewalt, die das Leben vernichtet! Bleibt standhaft im wahren Glauben Iesou Christou, wenn ihr angegriffen, misshandelt und beschimpft werdet! Glückselig seid ihr Sanftmütigen und Barmherzigen, denn euch wird Barmherzigkeit widerfahren! Glückselig seid ihr, die ihr um des rechten Glaubens willen verfolgt werdet, denn euer ist das Königreich der Himmel! Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen um meinetwillen – so sprach unser Herr und Gott Iesous Christos!«, ruft er den Gläubigen zu. »Möge Gott Abrahams zerstrittenen Kindern, den Juden und den Muslimen, Frieden schenken, auf dass sie zur Einsicht kommen und sich zum wahren Glauben bekehren! Die Auferstehung Iesou Christou ist ein Sieg des Lebens über den Tod, ein Triumph der Hoffnung auf Frieden und der brüderlichen Gemeinschaft aller Menschen im Glanz des Königreiches der Himmel!«
    Als Zeichen des Sieges streuen Priester duftende Lorbeerblätter auf den Boden, während Joachim das Heilige Licht an die Pilger vor dem Heiligen Grab verteilt, die wiederum die Kerzen der hinter ihnen Stehenden entzünden. Es wird hell in der Grabeskirche, als das Licht von einer Kerze zur anderen wandert, bis auch ich eine brennende Kerze in der Hand halte.
    Plötzlich hallt ein Ruf durch die überfüllte Basilika. »Allahu akbar – Gott ist groß! La ilaha illa-llah – Es gibt keinen Gott außer Allah!«
    Einen Augenblick lang ist es so still in der Grabeskirche, dass ich den unterdrückten Atem der Gläubigen um mich herum hören kann. Dann gellt ein Schrei: »Ungläubige! Wie können sie es wagen!«
    Wie durch eine unsichtbare Macht bewegt, gerät das Meer der blauen Turbane in wogenden Aufruhr.
    »Bism’Allahi ar-rahmani ar-rahím – Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! O Volk der Schrift! Übertreibt nicht in eurer Religion, und sprecht über Allah nur die Wahrheit«, zitiert ein Muslim auf den Stufen zum Katholikon mit lauter Stimme die sechste Sure des Korans. »Der Messias Issa ibn Maryam war ein Prophet Allahs. So glaubt an Allah und seinen Gesandten, und betet nicht drei Götter an, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist! Allah ist nur ein einziger Gott! Er hat keinen Sohn!«
    Die Gläubigen, die kein Wort Arabisch verstehen und nicht wissen, was der Muslim predigt, recken drohend ihre Fäuste und strecken ihre brennenden Kerzen in die Höhe.
    Dann bricht ein Tumult los. Die ersten Christen stürmen zum Katholikon, um den Muslim, der noch immer mit lauter Stimme Koransuren herbetet, von den Stufen zu zerren. Indessen stürzen etliche Muslime aus den Schatten des Chorumganges, der zum Gewölbe der Kreuzauffindungskapelle führt, und werfen sich den »gottverfluchten, weihrauchstinkenden Ikonenanbetern« entgegen.
    Die goldenen Leuchter vor dem Heiligen Grab mit den riesigen Kerzen werden umgeworfen und als Waffen benutzt, mit denen die ›Ungläubigen‹ aus der Kirche geprügelt werden sollen.
    Besorgt blicke ich zum Patriarchen Joachim, der sich mit zwei seiner Bischöfe gegen die Marmorwand des Heiligen Grabes presst – wenn er stirbt, werde ich den Papyrus, den Mar Abdul Masih ihm gegeben hat, nie zurückerhalten!
    Im Gewühl stürzen mehrere Menschen schreiend zu Boden – sie fürchten, dass sie zu Tode getrampelt werden. Panik greift um sich. Etliche Pilger versuchen kreischend, so schnell wie möglich die Kirche zu verlassen, und halten sich angsterfüllt gegenseitig fest. Viele stolpern und reißen andere mit.
    Yareds Mamelucken, die ich vorhin im Vorhof gesehen habe, stürmen mit gezückten Schwertern in die Grabeskirche, um die Streitenden zu trennen. Sie stoßen mit der Schar der Flüchtenden zusammen, die ihnen wie eine Flutwelle

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