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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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gezögert, einen römischen und einen syrischen Mönch zu töten. Er wird auch vor dem Mord an einem Patriarchen nicht zurückschrecken«, warne ich ihn. »Bitte übergebt mir den Papyrus.«
    Wortlos hebt er den Saum seines liturgischen Gewandes und steigt vorsichtig zwischen den am Boden liegenden Büchern hindurch zu einem Lesepult auf der anderen Seite der Bibliothek. Ächzend schiebt er das schwere Katheder zur Seite und kniet sich mit gerafftem Brokatmantel vor eine Bodenfliese.
    »Ein Versteck aus der Kreuzfahrerzeit.« Mit der Spitze seines Dolchs stochert er zwischen den Fliesen, bis ein geheimer Mechanismus mit einem metallischen Klicken die Verriegelung freigibt. Er hebt die schwere Bodenplatte an und klappt sie zurück. Sie ist an einem eisernen Scharnier befestigt, das leise quietscht. »Die Mönche haben den Gang angelegt, um die kostbarsten Bücher vor der Vernichtung zu bewahren, als Sultan Salah ad-Din Jerusalem belagerte. Er schoss Feuer in die Stadt.« Ächzend lehnt er sich über den offenen Schacht. Eine schmale und sehr steile Treppe führt hinunter in ein Gewölbe, das sich in der Finternis verliert. Joachim tastet nach einer ledernen Rolle, die auf einer der Stufen liegt, zieht sie hervor und überreicht sie mir.
    Ich biete ihm meinen Arm, um ihm aufzuhelfen. Dann schnüre ich die schwere Lederhülle auf und entrolle den steifen Papyrus, der, nach der Größe der Schriftrolle zu schätzen, auf dem Boden ausgebreitet wohl über acht oder neun Schritte lang ist. Neben der Papyrusrolle enthält die Lederhülle einen dicken Stapel von etwa fünfzig eng beschriebenen Pergamentseiten. Mar Abdul Masihs lateinische Übersetzung!
    Atemlos überfliege ich die ersten Zeilen in einer hastig hingekritzelten Handschrift:
    ›Und es geschah im fünfundzwanzigsten Jahr der Herrschaft des …‹ An dieser Stelle hat Mar Abdul Masih angemerkt, dass der Name des Königs unlesbar sei. ›… des Königs von Juda, dass der Herr zu Baruch sprach, dem Sohn Nerijas: Hast du gesehen, was dieses Volk mir antut? Dass die Sünden der beiden in Juda zurückgebliebenen Stämme größer sind als die der zehn Stämme, die in die Gefangenschaft der Babylonier verschleppt worden sind?‹
    Baruch ben Nerija – der Sekretär des Propheten Jeremia!
    Fasziniert streiche ich mit den Fingern über die mit Bimsstein glatt geschmirgelten Seiten des Pergaments, das augenscheinlich schon unzählige Male benutzt worden ist – die Schatten abgeriebener Texte sind noch sichtbar. Ich freue mich darauf, die Apokalypse mit Yared …
    Zu Tode erschrocken zucke ich zusammen, als plötzlich mit lautem Geklirr eines der Fenster der Bibliothek zerbricht. Ein faustgroßer Stein poltert über den Fliesenboden und bleibt vor einem Bücherregal liegen.
    »Gott im Himmel!«, stöhnt Joachim und eilt zum zerborstenen Fenster.
    Gerade noch rechtzeitig kann er zur Seite springen und einem zweiten Stein ausweichen, der hinter ihm in den Haufen der durcheinandergeworfenen Folianten kracht und etliche jahrtausendealte Papyrusseiten zerstört.
    Ich trete neben den Patriarchen. In der Gasse traben mehrere berittene Mamelucken mit gezücktem Schwert auf eine Gruppe von Muslimen zu, die geharnischte Brust im Sattel vorgeneigt, jederzeit bereit, im Galopp loszupreschen. Die Steinewerfer, die das Straßenpflaster vor dem Patriarchat aufbrechen, um die Pflastersteine als Wurfgeschosse zu benutzen, springen fluchend auf und flüchten in Richtung der Via Dolorosa.
    Mir gefriert das Blut in den Adern.
    »O Gott – die Kinder!«, flüstere ich entsetzt.
    Mit vor Aufregung zitternden Händen rolle ich die Baruch-Apokalypse und Mar Abdul Masihs lateinische Übersetzung in die Lederhülle und verschnüre sie hastig, während ich durch die Bibliothek hetze, den Gang entlang, die Treppe hinab, durch den Kreuzgang zum Portal, wo die Jungen auf mich warten.
    Karim und seine Freunde, die mit einem jungen Kätzchen gespielt haben, springen auf, als sie mich sehen, und rennen zu mir herüber. Sie zerren aufgeregt an mir herum und schreien durcheinander, sodass ich zunächst nicht verstehen kann, was sie mir sagen wollen.
    »Der Tempelritter?«, frage ich nach. »Was ist geschehen? Nicht alle auf einmal! Karim?«
    »Elija ist verschwunden.«
    Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. »Seit wann?«
    »Schon eine ganze Weile.«
    »Habt ihr ihn gesucht?«, frage ich von panischer Furcht ergriffen und blicke die Straße hinunter.
    Da ist der Dominikaner mit seinem wollenen

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