Der Gottesschrein
Habit, der viel zu warm ist für Jerusalem. Die Machart des Habits erinnert mich unwillkürlich an die weiten Gewänder, die römische Inquisitoren im eisigen Winter tragen. Wer ist dieser Mönch?
Karim nickt beflissen. »Wir sind zur Grabeskirche zurückgelaufen. Aber da war er nicht. Dann haben wir ihn bei der Al-Omariya-Moschee gesucht. Und beim Hospital der Johanniter im Muristan.«
»Und in der Via Dolorosa«, ergänzt Ioannis.
»Und im Souk Khan ez-Zeit am Damaskustor!«, ruft Khalid gleichzeitig.
»Aber wir haben ihn nicht gefunden«, erklärt Karim niedergeschlagen. »Ich glaube, dass der Tempelritter Elija entführt hat, weil er weiß, wie lieb du ihn hast.«
· Yared ·
Kapitel 36
In Uthmans Gemächern in der Zitadelle
17. Dhu’l Hijja 848, 20. Nisan 5205
Karsamstag, 27. März 1445
Elf Uhr dreißig
»Yared, da ist noch etwas, das du wissen solltest«, beginnt Uthman zögerlich. »Arslan war gerade bei mir …«
Ich stürze den Raki hinunter. »Und? Was wollte er?«
»Dein illustrer Amtsvorgänger als Emir von Dimashq hat die Residenz in Jericho, die du ihm vor zwei Nächten so großzügig zur Verfügung gestellt hast, ohne deine Erlaubnis verlassen. Tughan al-Uthmani ist geflohen. Arslan befürchtet, er könnte nach Al-Quds zurückkehren, um sich für seinen Sturz und das missglückte Attentat an dir zu rächen. Er hat nicht nur Mamelucken in der Stadt, sondern auch einflussreiche Freunde. Wie den Imam der Al-Aqsa, Yusuf Abu Talib.«
Ich stöhne. »Nicht ausgerechnet diesen Judenhasser!«
»Sag mal, Yared, der Imam war doch vorhin bei dir«, hebt Uthman zu einer Frage an. »Was wollte …?«
Ungestüm wird die Tür aufgerissen. Es ist Benyamin. »Bitte entschuldigt die Störung. Aber …«
Alessandra schiebt sich an ihm vorbei. »Prinz Uthman, bitte verzeih mein unangemeldetes Eindringen in deine Gemächer!« Sie keucht, als wäre sie die Treppe heraufgerannt, und wirkt sehr beunruhigt. »Ich muss dringend mit dem Emir sprechen!«
»Du bist ja ganz außer Atem«, sorge ich mich. »Was ist geschehen?«
»Die Christusritter haben Elija entführt.«
Mit welcher Entschlossenheit sie die Ritter Christi nun doch verrät und dem Todesurteil überantwortet!
In kurzen Worten berichtet sie von ihrem Besuch mit den Jungen in der Grabeskirche, wo es am Grab Jesu Christi Gewalttätigkeiten zwischen Christen und Muslimen gegeben hat, und bei Patriarch Joachim. Die Baruch-Apokalypse, die sie von dem syrischen Mönch zurückerhalten wollte, erwähnt sie mit keinem Wort.
Uthman ist fassungslos. »Kreuzritter in Al-Quds? Woher weißt du das?«
»Tayeb hat vorletzte Nacht einen der Ritter getötet. Dabei ist er schwer verwundet worden – Yared und Arslan haben ihn in die Zitadelle gebracht. Gestern Nacht habe ich das Versteck der Christusritter gesucht.«
»Wie viele sind es?«, fragt Uthman, der mich gestern bereits nach Tayeb gefragt hat. Wird er ihr glauben?
Allmächtiger Gott! Ich habe ganz vergessen, dass er Alessandra für heute Nachmittag zum Tee eingeladen hat, damit sie ihm von dem vergessenen Evangelium erzählt.
»Es sind nur zwei portugiesische Mönchsritter. Keine Sergeanten, keine Diener, keine Pferde. Sie haben Schwerter und Dolche, aber keine Armbrüste. Sie verstecken sich in einem verfallenen Kloster zwischen dem Berg Zion und dem Hinnom-Tal«, fasst sie atemlos zusammen. Dann blickt sie mich an. »Yared, bitte! Wir müssen Elija retten!«
Ich zögere nicht – ich ahne, wie viel ihr an dem Jungen liegt. »Benyamin!«
»Ja?«
»Arslan soll zwanzig Männer zusammentrommeln und im Hof auf mich warten.«
»Ich sag’s ihm.« Er wendet sich ab.
»Warte! Lass mein Pferd satteln!«
»Aber …«, will er protestieren, doch ich habe mich bereits zu Uthman umgewandt. »Hilfst du mir mit der Rüstung und dem Schwertgurt?«
»Yared, ich will mitkommen und die …«
»Nein, Uthman, vergiss es! Du bleibst hier und verteidigst die Zitadelle gegen Tughans Mamelucken. Insh’Allah – so Gott will, sind Alessandra und ich in zwei Stunden zurück.«
· Alessandra ·
Kapitel 37
In der Nähe des Berges Zion
17. Dhu’l Hijja 848, 20. Nisan 5205
Karsamstag, 27. März 1445
Kurz vor zwölf Uhr mittags
Das erste »Allahu akbar« des Muezzins, der die Gläubigen zum Mittagsgebet ruft, weht mit dem heißen Khamsin von der Stadt herüber.
Leise rascheln vierzehn Mamelucken in Helm und Harnisch durch die hohen Disteln auf das Portal des verfallenen Klosters zu. Sechs Männer nähern sich dem
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