Der Gottesschrein
nach links in die Davidstraße ein und schieben uns durch das Gewühl der christlichen Pilger, die vor den Läden der Reliquienhändler stehen geblieben sind und mit lauter Stimme feilschen. Von irgendwoher wehen der Duft von Weihrauch und leise Flöten- und Trommelmusik.
Die Luft in der Davidstraße ist so staubig, dass die Sonnenstrahlen, die sich zwischen den Sonnensegeln hindurch in die Gasse verirren, zarte Vorhänge aus blendendem Licht bilden.
Dann haben Ghiorghi und ich die Kreuzung der Gassen erreicht, die das christliche, das armenische, das muslimische und das jüdische Viertel trennen. Von der Zitadelle führt die Davidstraße hierher, vom Tempelberg und dem Al-Maghribi-Viertel die Ha-Shalshelet, die Kettenstraße, und vom Damaskustor und der Grabeskirche aus enden hier drei enge Marktstraßen. Der Souk al-Lahhamin, der von Fliegen verseuchte Fleischmarkt, über dessen gestampften Lehmboden das Blut der nach muslimischen oder jüdischen Vorschriften geschächteten Tiere rinnt, der Souk al-Khawayat, der Stoffmarkt mit orientalisch bunten Ballen von Damast aus Dimashq, Musselin aus Mossul, Baumwolle aus Kairo, florentinischer Seide und indischem Brokatstoff, und der Souk al-Attarin, der Gewürzmarkt, stoßen hier zusammen.
Während uns ein alter, weißbärtiger Mann, der mit Keffiyah und schwarzem Agal-Stirnband an den Erzvater Abraham gemahnt, mit seinem Stock gegen einige byzantinische Pilger drängt, weil er eine Herde blökender Schafe zum Fleischmarkt treiben will, werfe ich einen Blick in den Souk der Gewürze. Offene Läden aus der Kreuzfahrerzeit säumen die Marktstraße. Der Duft von exotischen Gewürzen wie Pfeffer, Kardamom, Galgant, Zimt, Ingwer, Safran und Chili weht mir mit einer heißen Windbö des Khamsin entgegen, raubt mir fast den Atem und reizt mich zum Niesen.
»Al-hamdu li-llah! Yarhamukumu-llah – Allah schenke dir seine Gnade.«
»Shukran, Ghiorghi.« Ich reibe mir die juckende Nase. »Siehst du ihn?«
Der junge Mamelucke, der mich um eine Handbreit überragt, späht über die hin und her wogenden bunten Turbane hinweg und schüttelt den Kopf. »Nein.«
Weiter!
Wir schieben uns an den Pilgern vorbei, ducken uns unter einer Reihe von gestreiften Djellabiyas hindurch, die von der Befestigung eines Sonnensegels herabhängen, und stolpern beinahe über die Wasserpfeifen, die vor dem nächsten Laden aufgebaut sind. Dann entdecke ich den jüdischen Dominikaner, hundert Schritte entfernt, in der Kettenstraße. »Da ist er, siehst du, Ghiorghi? Er hat die Abkürzung durch die Gassen des muslimischen Viertels genommen.«
»Wieso bleibt er stehen?«
Der Dominikaner huscht in den Tallitladen an der Kettenstraße. Kurz darauf verlässt er den Laden in einer gestreiften Djellabiya und einem gelben Turban. Den Dominikanerhabit hat er sich wie einen Tallit über die Schulter gelegt. Yonatan, der vorgestern plötzlich sehr ernst und still geworden ist, als ich ihm meinen Namen nannte, begleitet ihn. Die beiden tuscheln aufgeregt, als sie die Ha-Shalshelet-Straße überqueren und in einer Gasse des Judenviertels verschwinden.
Ghiorghi folgt mir durch die engen, gewundenen Gässchen, die über unebene Stufen an verwitterten Hauswänden aus Stein, an niedrigen Türöffnungen und kleinen vergitterten Fenstern entlangführen. Die alten Häuser, die aus der Zeit Jesu zu stammen scheinen, bestehen aus einer Ansammlung einzelner überkuppelter Räume, die sich um einen kleinen Hof oder Garten mit Granatapfel- und Feigenbäumen gruppieren. Fast jeder Raum verfügt über einen eigenen Treppenabsatz, die oberen haben eine kleine Kuppel, eine Dachterrasse oder einen kleinen Garten mit duftenden Orangen- und Zitronenbäumen, zu der eine schmale Steintreppe hinaufführt. An Sukkot werden dort oben die Laubhütten errichtet.
Wenige Schritte vor uns steigen die beiden jungen Männer eine schmale, gewundene Treppe hinauf und verschwinden in einem Haus nahe der Synagoge. Ich erkenne es an der silbernen Mesusa neben der Tür – Elija hat sie mir beschrieben.
»Und nun?«, fragt Ghiorghi, der sich neben mir an die glühend heiße Hauswand lehnt.
Auf der getreppten Gasse, die zum Al-Maghribi-Viertel und weiter zur Klagemauer führt, haben zwei kleine Mädchen mit fliegenden Zöpfen ihr fröhliches Hüpfspiel unterbrochen. Sie drücken sich in eine Nische in der Hauswand, lugen um die Ecke und beobachten uns, die Gojim, argwöhnisch.
Plötzlich höre ich das Klappern von Pferdehufen aus einer der
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