Der Gottesschrein
reißen tiefe Wunden. Lanzen werden in Körper gerammt und zerbrechen unter dem jähen Aufprall. Blut spritzt aus Wunden und netzt die Harnische der Kämpfenden. Gebete zu Gott, zu Allah, zum Propheten Mohammed und zu Iyasus Christos werden gebrüllt, Psalmen mit atemloser Stimme gesungen. Die Schmerzensschreie und das Todesröcheln vermischen sich mit dem rhythmischen Dröhnen der großen Kriegstrommeln, dem ängstlichen Wiehern der Pferde und dem alles übertönenden Trompeten eines verwundeten Elefanten, der sich gegen seinen eigenen Treiber wendet, den er mit dem Rüssel von seinem Rücken hebt und zu Boden schleudert. Dann bringt er die Reihen der herandrängenden Muslime zum Stillstand, treibt sie mit seinen gespitzten Stoßzähnen zurück und schlägt sie schließlich in die Flucht.
Todesmutig galoppiert Zara Yakob über das Schlachtfeld. Die Hufe seines Pferdes wirbeln eine Staubwolke auf, die der Kaiser wie den Schweif eines Kometen hinter sich herzieht. Mit seinem Schwert teilt er kraftvolle Hiebe aus, die seine Feinde, die ihn aus dem Sattel zerren wollen, zu Boden strecken – fluchend folgt ihm Konstantin. Doch der Erwählte Gottes lässt sich von dem hin und her wogenden Schlachtgetümmel nicht aufhalten, treibt sein Schlachtross zum gestreckten Galopp an und prescht zwischen den siegestrunken johlenden Muslimen hindurch direkt auf Sultan Bedlay zu, der ihn, beschützt von seinen Leibwächtern, mit gezücktem Schwert erwartet.
»Stirb, du verfluchter Ungläubiger!«, brüllt der Sultan von Adal mit aufgerissenen Augen und hebt seine Klinge, um den Erwählten Gottes zu töten.
»Für wen hältst du dich, Ahmed Bedlay?«, dröhnt der König der Könige voller Verachtung und zerrt an den Zügeln seines herumwirbelnden Pferdes. »Für den gottgesandten Mahdi, den Retter des Islam, der in einem Djihad alle vernichten wird, die sich nicht zum Propheten des Satans bekennen? Möge Allah den Namen des Kameltreibers aus Mekka verfluchen! Er war der Antichrist!«
»Und wer bist du, Zara Yakob ibn Suleiman ibn Daud? Der Messias, der Nachkomme von zwei großen Propheten? Der Stellvertreter Gottes auf Erden?«
Der Byzantiner, der dem Kaiser nicht von der Seite gewichen ist, stößt seinen Speer in Bedlays hassverzerrtes Gesicht. Doch der Sultan kann ihn abwehren und schleudert ihn mit aller Gewalt zurück, um Zara Yakob zu töten. »Bism’Allahi ar-rahmani ar-rahím. Im Namen Allahs und des heiligen Djihad gegen alle Ungläubigen!«
Bedlay verfehlt ihn jedoch und verletzt ihn nur am Schwertarm.
Der Kaiser brüllt auf vor Schmerz und Zorn, reißt ungestüm sein Schwert hoch und drängt dem Sultan entgegen. »Im Namen des allmächtigen Gottes!«
Mit lautem Klirren prallen die Klingen immer wieder aufeinander. Die beiden Herrscher kämpfen um ihr Leben.
Als der Kaiser schließlich vom Pferd stürzt, springt auch der Sultan aus dem Sattel. Zara Yakob ist benommen von dem Sturz. Dann liegt Ahmed Bedlays Schwert an seiner Kehle. Der Kaiser spürt, wie die scharfe Klinge seine Haut ritzt und das warme Blut über seinen Nacken rinnt.
Plötzlich schwankt der Boden unter ihm. Bedlay taumelt unter der jähen Erschütterung. Er muss sich am Sattel seines Pferdes festhalten, um nicht in eine der Erdspalten zu stürzen, die sich mit ohrenbetäubendem Donnern unter ihm auftun.
Ein gewaltiges Beben verwüstet das Schlachtfeld. Viele der Kämpfenden fallen schreiend zu Boden. Etliche versinken im aufbrechenden Erdreich und werden lebendig begraben.
»Bism’Allah!« Die Hand des Sultans zittert vor Gottesfurcht, als er weit ausholt, um dem Kaiser, der hilflos neben dem Abgrund einer tiefen Spalte liegt, den Todesstoß zu versetzen.
· Alessandra ·
Kapitel 43
Im Heiligen Grab in der Grabeskirche
Fasika, 2. Miyazya 6945
18. Dhu’l Hijja 848, 21. Nisan 5205
Ostersonntag, 28. März 1445
Kurz nach zehn Uhr morgens
Im Herzen berührt habe ich beobachtet, wie … ja, wie andächtig Ghiorghi an der orthodoxen Ostermesse teilgenommen hat. Da er kein Wort Griechisch versteht, habe ich ihm die Worte von Patriarch Joachim übersetzt: Christós anésthe, alethos anésthe. Christos ist auferstanden, wahrlich, er ist auferstanden.
Nach der Messe war der Mamelucke aus Georgien mit sehnsüchtigem Blick zum Golgatafelsen emporgestiegen. Anschließend wurde er von Fra Girolamo da Salerno ins Heilige Grab geführt.
Vor der Felsbank, wo vom Karfreitag bis zur Osternacht Jesu Leichnam ruhte, kniet Ghiorghi nieder und betet, die
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