Der Gottesschrein
beschützen, um dir zu vergelten, was dein Vater für uns getan hat. Deshalb haben mein Bruder und ich auf dich aufgepasst.«
»Ihr seid mir nichts schuldig. Ich kann euren Schutz nicht annehmen, denn ich bringe euch in Gefahr, wie ich den kleinen Elija in Gefahr gebracht habe.«
»Elija?«
»Er ist seit gestern Mittag verschwunden.«
In kurzen Worten berichte ich Eleazar und seinen Söhnen, dass die Christusritter den Jungen entführt haben.
»Wir werden ihn suchen«, beschließt der Rabbi, aber das lehne ich entschieden ab.
»Wenn unser Leben in Gefahr ist, dann deines umso mehr«, entgegnet Aviram. Er zieht ein Amulett unter seiner Djellabiya hervor und gibt es mir.
Die hebräischen Schriftzeichen auf dem silbernen Anhänger lauten: ›Niemand muss sich fürchten, der Gott an seiner Seite weiß.‹ Verwirrt starre ich auf das magische Hexagramm, das ›Siegel Salomos‹. Dann blicke ich auf. »Was ist das?«
»Dieses Amulett wird dich beschützen«, versichert mir Aviram und dreht den Anhänger in meiner Hand. »Siehst du? Auf der anderen Seite steht der Name des Allerhöchsten. Ein Trost in einer Zeit, in der wir Juden verfolgt werden.«
»Der Name Gottes?«
Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre!, dröhnt es in meinem Kopf. Ist dieser Name der Schlüssel zur verborgenen Botschaft der Templer in der Baruch-Apokalypse?
»Wie lautet er?«, frage ich atemlos und starre auf die Buchstaben der aneinandergefügten Gottesnamen.
אהיה יהוה אדוני הויה
»Der Name Gottes ist unaussprechlich«, erklärt mir Aviram. »Im Sefer ha-Sohar steht geschrie…«
»Un momento, per favore! Wie viele Buchstaben hat er?«, unterbreche ich ihn aufgeregt.
»Zweiundvierzig, sagen der babylonische Talmud und die Kabbala. Das ist die Zahl, mit der Gott nach kabbalistischer Tradition die Welt erschuf.«
Ich schlage die Hände vor das Gesicht. »Zweiundvierzig Generationen von Abraham über David und Salomo bis Jesus. Matthäus, Kapitel eins, Vers siebzehn. Zweiundvierzig – das ist die Antwort!«
»Tut mir leid, ich verstehe nicht …«
Bevor ich antworten kann, wird die Tür aufgerissen, und ein junger Mann stürzt herein.
»Rabbi!«, keucht er außer Atem. »Adonai sei uns allen gnädig!«
»Was ist denn?«, fragt Eleazar beunruhigt.
»Rabbi, kommt schnell! Vor deinem Haus liegt ein ermordeter Mamelucke!«
· Yared ·
Kapitel 44
Im Felsendom
Fasika, 2. Miyazya 6945
18. Dhu’l Hijja 848, 21. Nisan 5205
Ostersonntag, 28. März 1445
Kurz vor elf Uhr morgens
Arslan wirkt besorgt, als er mir das Portal des Qubbat as-Sakhra, des Felsendoms, öffnet. »Der Dom ist verlassen. Ich habe selbst nachgesehen. Ihr könnt ungestört miteinander reden. Zwanzig Mamelucken bewachen die Tore. Ihr werdet nicht gestört werden.«
»Danke, mein Junge.« Als ich an ihm vorbeigehe, legt er mir kurz die Hand auf die Schulter, als ob er mir Mut zusprechen wolle. Ahnt er, was Uthman und ich zu besprechen haben?
Dumpf fällt die Tür hinter mir zu.
In aller Ruhe schlendert Uthman durch die Säulengalerie hinüber zur Treppe, die zum Brunnen der Seelen hinabführt, blickt gedankenvoll durch das Loch der zerbrochenen Marmorplatte ins Labyrinth hinunter, geht weiter und bleibt schließlich am Geländer vor dem As-Sakhra stehen, um den zerklüfteten Felsen zu betrachten. Während er im Koran blättert, den Arslan in jener Nacht auf die Brüstung gelegt hat, trete ich neben ihn, und sehe hinüber zu der Vertiefung im Fels, wo in König Salomos Tempel einst die Bundeslade stand.
Uthman schließt den Koran. »Du siehst erschöpft aus, Yared.«
»Nach Arons Attentat fühle ich mich nicht besonders gut.«
»Sein Tod hat dich aufgewühlt. Du trauerst um ihn.«
»Er war mein Freund.«
»Er hat eure Freundschaft verraten.« Uthman legt mir den Arm um die Schultern. »Ich weiß, wie enttäuscht du bist. Ich weiß, wie schmerzhaft es ist, wenn man seinem besten Freund nicht mehr vertrauen kann.«
Ich sehe ihn von der Seite an, aber er erwidert meinen Blick nicht, sondern starrt wieder den Felsen an. Worauf will er hinaus?
Allmächtiger Gott, kann es sein …?
Ich mache einen tiefen Atemzug. »Imam Yusuf hat mit dir geredet.«
»Heute Morgen, nach dem Morgengebet in der Al-Aqsa. Bei dir hat er sich eine blutige Nase geholt, also hat er es bei mir versucht.«
»Er spielt uns gegeneinander aus«, warne ich Uthman.
»Das weiß ich, Yared. Er verachtet dich, den Juden. Er hasst dich, weil du seinen
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