Der Gottesschrein
meiner Hadj nach Mekka und Medina und meiner Taqdis nach Jeruschalajim als Abschluss der Pilgerreise hoffte Uthman, ich würde mich nach all den Jahren unserer innigen Freundschaft, nach all den Jahren als Arzt und engster Vertrauter seines Vaters Sultan Jaqmaq nun endlich zum Glauben des Propheten bekennen. Auf Knien flehte Uthman Allah an, ich möge mich besinnen und Muslim werden, während Benyamin auf Jahwe vertraute, dass ich Jude blieb – trotz aller Verlockungen am Hof des Sultans von Ägypten: Freiheit, Reichtum, Macht, das Vertrauen des Sultans und die Liebe seiner Tochter Jadiya, Uthmans Schwester, mit der ich seit drei Jahren das Bett teile.
Obwohl mir als Dhimmi, als Schutzbefohlenem, die Liebe zu einer Muslima verboten ist, hat Sultan Jaqmaq bis vor wenigen Wochen dazu geschwiegen. Er hofft, dass ich Jadiya heirate, weil sie mir den ersehnten Erben schenken kann, und hat mich nach Mekka geschickt, damit ich mich Allah unterwerfe.
»Lass uns allein«, bat ich Saphira, nachdem Benyamin sich die Hände gewaschen hatte.
Sie erhob sich geschmeidig. »Wünscht ihr nach dem Mahl einen heißen Qahwa?«
»Ja, gern«, nickte mein Freund. »Für mich einen stark gerösteten Kaffee. Mit karamelisiertem Zucker.«
»Bitter wie das Leben und süß wie die Liebe«, ergänzte ich.
Benyamin grinste verschmitzt. »Genau so.«
Saphira wandte sich zu mir um. »Und du, Sidi?«
»Ich nehme dasselbe.«
Sie wollte sich schon abwenden, da hielt ich sie auf: »Ein friedliches und besinnliches Pessachfest!«
Ein warmes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie niederkniete, mir über den Bart strich und mich zärtlich küsste. »Das wünsche ich dir auch, Sidi.«
Nachdem Saphira leise die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog ich eine Mazza unter dem bestickten Tuch hervor, brach ein Stück ab und legte es auf die Seite.
Auf dem Damasttuch waren die Sederspeisen angerichtet. Die drei Mazzot. Der gegrille Lammknochen, ein Symbol für das Pessachlamm, das einst beim Auszug aus Ägypten geschlachtet wurde. Das süße Mus aus Äpfeln, Nüssen, Rosinen und Wein, eine Erinnerung an den Lehm, aus dem die Israeliten in Ägypten die Ziegel formten. Der scharfe Rettich als Mahnung an die bittere Unterdrückung. Die Schüssel mit dem Salzwasser, dem Symbol der vergossenen Tränen. Und der bis zum Rand gefüllte Becher für den Propheten Elija.
Daneben stand in silbernen Schalen das eigentliche Abendmahl: Kofta-Bällchen aus Lammfleisch. Goldbraun frittierte Falafel aus Bohnen und Kichererbsen, die mit Koriander und Knoblauch gewürzt waren. Kandierte Zitronenscheiben. Und Baklava, die süßeste aller Versuchungen, denen ich mich hingab, eine Köstlichkeit aus Blätterteig, gefüllt mit gehackten Mandeln und Pistazien, eingelegt in Zimtsirup, der mit Rosenwasser verfeinert wird. Oder, wenn Jadiya mich auf eine besonders sinnliche Weise verführen will, mit Haschisch – was unsere leidenschaftliche Vereinigung meist zu einer äußerst intensiven Sinnenfreude höchster Lust, euphorischen Glücksgefühls und wohliger Entspannung in ihren Armen macht.
Nachdem ich das Brot gebrochen hatte, gab ich Benyamin die halbe Mazza.
»Das Brot des Elends, das unsere Väter in Ägypten gegessen haben«, murmelte er feierlich. Obwohl dieser Teil der Pessach-Liturgie auf Aramäisch gesprochen wird, nicht auf Hebräisch, redete mein Freund sehr leise. Denn er fürchtete Uthmans Zorn, falls der herausfand, dass ich trotz meiner Hadj nach Mekka mit ihm Pessach feierte.
»Dieses Jahr hier, nächstes Jahr in Israel. Dieses Jahr Sklaven, nächstes Jahr freie Menschen«, brachte Benyamin dem Ritus gemäß die unvergängliche Hoffnung der Juden zum Ausdruck. Dabei sah er mir beschwörend in die Augen.
Bedächtig trank ich meinen Becher mit dem berauschenden Wein aus Galiläa leer, ließ mich wohlig in die Kissen sinken, schloss die Augen und entspannte mich, um diesen friedlichen Augenblick zu genießen. Und schwieg beharrlich.
Vor unserer Abreise nach Mekka waren mein Schwager und ich in Al-Kahira heftig aneinandergeraten, weil ich, wie er glaubte, den Übertritt zum Islam ernsthaft in Betracht zu ziehen schien. Dass ich in Mekka trotz Uthmans Drängen nicht die Schahada gesprochen habe, um mich damit zu Allah und seinem Gesandten Mohammed zu bekennen, hat Benyamin besänftigt. Und seit ich Uthman in Medina am Grab des Propheten gebeten habe, mich nach Jeruschalajim zu begleiten, hofft Benyamin erneut, ich könnte meine Vision von einem
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