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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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unabhängigen Reich Israel doch noch verwirklichen.
    »Yared, weißt du, warum sich diese Nacht von allen anderen Nächten unterscheidet?« Leise und doch sehr eindringlich stellte Benyamin die erste der traditionellen Fragen des Sederabends.
    Dem Ritus folgend hätte ich antworten sollen, dass an diesem Abend der Auszug aus Ägypten gefeiert wird, das Ende der Knechtschaft, die Geburt unseres Volkes. Doch ich nickte lediglich stumm. Ich ahnte, worauf er hinauswollte.
    »Wir waren Knechte des Pharaos, und der Herr führte uns aus Ägypten«, erinnerte er mich. »Was hat sich geändert? Auf dem Thron des Pharaos sitzt nun ein Sultan. Aber wir Juden sind immer noch ein armes, rechtloses und unfreies Volk!«
    »Wir sind Dhimmis«, korrigierte ich ihn in ruhigem Tonfall. »Als Juden stehen wir unter dem Schutz des Islam.«
    »¡Por Dios!« , rief er zornig aus. »Wovor schützen mich die Muslime, wenn nicht vor sich selbst? Vor der Unterdrückung durch den Islam! Vor der Erbarmungslosigkeit und der Gewaltgier der Mamelucken, die uns Juden blutig prügeln und unsere Töchter vergewaltigen! Verfluchte Gojim! Malditos infieles!«
    »Wenn du noch ein wenig lauter schreist, wird Uthman dich in seinen Gemächern hören!«, ermahnte ich ihn ernst. »Dein Hass auf die tscherkessischen Mamelucken wird ihn ebenso wütend machen wie die Entehrung als ›infiel‹, als Ungläubiger.«
    Stolz betrachtet sich Benyamin, der Rabbi aus Sevilla, als Erbe des Goldenen Zeitalters der Juden in Spanien, die sich als große Gelehrte und Vermittler der arabischen Kultur an das christliche Abendland hervorgetan haben. Hochmütig und, wie ich finde, ein wenig zu selbstgefällig wandelt Benyamin auf den Spuren von Chasdai Ibn Shaprut, Yehuda Halevi und Moses Maimonides und blickt hinab auf die ungebildeten Gojim aus dem Kaukasus. Die Herrschaft der Tscherkessen bezeichnet er als moralischen Tiefpunkt der jahrtausendealten ägyptischen Geschichte, die nun in Blut ertränkt wird.
    »Ich bin ein Dhimmi, ein Schutzbefohlener, du nicht!«, fuhr Benyamin nun deutlich leiser, doch nicht minder eindringlich fort. Mein Schwager fürchtet den Zorn des Prinzen, der glaubt, nur Benyamin habe mich in Mekka noch davon abgehalten, endlich den wahren Glauben anzunehmen. »Du bist ein freier Mensch. Ganz ungeniert nutzt du die Sonderrechte, die der Sultan dir als seinem Freund und Vertrauten zugesteht.
    Du musst auf der Straße nicht die schwere Steinkugel um den Hals tragen, die deinen Nacken beugt und dich als Juden kennzeichnet. Denn Yared al-Gharnati demütigt sich vor niemandem, weder vor dem Sultan noch vor Gott. Du musst nicht verkrümmt auf dem Packsattel eines Esels reiten, sondern besitzt einen Stall voller herrlicher arabischer Rassepferde, die der Sultan dir geschenkt hat. So wie die Felukka mit den weißen Segeln, die auf dem Nil ankert. Und die große Villa bei den Pyramiden, deren Gärten mich an die der Alhambra erinnern.
    Du besitzt einen ansehnlichen Harem voller ägyptischer Sklavinnen, die nachts deine Lust stillen. Vermutlich gehört auch die schöne Saphira zu deinen Gespielinnen. Du schläfst doch mit ihr, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Du Glücklicher genießt alle Freuden und Lüste des muslimischen Paradieses! Und als sei das alles noch nicht genug, hast du eine Affäre mit Prinzessin Jadiya. Und der Sultan schweigt und hofft …«
    Benyamin beugte sich vor, um seinen geflüsterten Worten mehr Nachdruck zu verleihen.
    »Glaub mir, Yared, Prinz von Ägypten, ich bin es leid, in die Gosse zu springen, um nicht von einem Muslim umgeritten zu werden. Ich hasse es, mich demütig zu verneigen, wenn ich einem von diesen hochmütigen Mamelucken begegne, die allzu schnell zum Schwert greifen, um ihre Macht mit Gewalt zu rechtfertigen. Diese unzivilisierten Wilden aus den Steppen nördlich des Kaukasus! Die tscherkessischen Mamelucken sind ungebildete Kriegersklaven, die nichts als Vergewaltigung und Massaker im Kopf haben und denen das Blut von den Händen trieft! Sie sind Fremde in Ägypten, wie wir Juden!«, ereiferte sich Benyamin, trank durstig einen Schluck vom ›Wein der Freiheit‹, der offenbar eine berauschende, zu messianischen Visionen inspirierende und zur Aufsässigkeit verführende Wirkung auf seinen sonst so besonnenen rabbinischen Verstand hatte. Dann fuhr er fort:
    »Ich bin es leid, verachtet und geschlagen und mit Dreck beworfen zu werden. Deshalb bin ich damals mit meiner Schwester Rebekka von Sevilla nach Gharnata geflohen.

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