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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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zittere vor ohnmächtiger Wut, als ich niederknie, um Ghiorghis Augen zu schließen und ein Gebet zu sprechen. Doch welches? Ein muslimisches? Ein christliches?
    »De profundis clamavi ad te, Domine. Höre mein Flehen! Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, wer könnte bestehen? Doch bei dir ist Vergebung«, stimme ich als Totengebet den hundertdreißigsten Psalm an, während ich das gefaltete Damasttuch, das über seinem Herzen gelegen hat, unter dem Harnisch hervorziehe und damit sein Gesicht verhülle. »Wenn dieser junge Mann vor deinen Richterstuhl tritt, Herr, dann vergib ihm seine Sünden, und lass ihn ein ins Königreich der Himmel. Wir Menschen greifen zum Schwert, um zu entscheiden, wer Gott mehr liebt und wen Gott mehr liebt. Doch du liebst alle deine Kinder. Du bist die Liebe, die Barmherzigkeit, die Vergebung, die Versöhnung und die Hoffnung auf Gerechtigkeit. Du bist der Frieden. Amen.«
    Irgendjemand zupft mich am Ärmel, und ich blicke auf. Neben mir steht eines der Mädchen, die vorhin auf den Stufen der Gasse gespielt haben. Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie den Toten an. Hat sie den Mord mitangesehen?
    »Bist du Alessandra?«, fragt sie leise auf al-Arabiyya.
    »Ja.«
    Sie streckt mir einen gefalteten Zettel entgegen. »Das soll ich dir geben.«
    »Von wem?«
    Bebend vor Angst deutet sie die Gasse hinunter zum Tempelberg.
    Ich springe auf und dränge mich durch die Reihen der zurückweichenden Juden.
    Dann sehe ich ihn.
    Dom Tristão de Castro.
    Sein weißer Habit mit dem Kreuz der Unschuld schimmert unter dem schwarzen Skapulier hervor.
    Mit zitternden Fingern entfalte ich den Zettel.

· Yared ·
Kapitel 46
    Im Felsendom
    Fasika, 2. Miyazya 6945
    18. Dhu’l Hijja 848, 21. Nisan 5205
    Ostersonntag, 28. März 1445
    Kurz nach elf Uhr morgens

    »Sprich die Schahada, Yared. Konvertiere zum Islam, so wie du es am Freitag tun wolltest. Arslan und ich werden es bezeugen und gemeinsam mit dir beten«, sagt Uthman eindringlich. »Yared, lass mich bitte ausreden, bevor du antwortest! Glaub mir, ich weiß, welches Opfer du bringst. Wie sehr du dich mit dieser Entscheidung quälst. In Mekka. In Medinat an-Nabi. Und hier in Al-Quds. Als Dawadar, als Vertrauter des Sultans und einer der mächtigsten Würdenträger des Reiches, kannst du Einfluss auf den Prozess gegen Alessandra nehmen. Kein Richter wird es wagen, deine Geliebte oder Gemahlin anzuklagen oder zu verurteilen. Nimm sie mit nach Al-Kahira. Als Muslim kannst du Jadiya und Alessandra heiraten.«
    »Uthman, das ist …«
    »Jadiya wird nichts dagegen sagen. Sie liebt dich. Sie will dich nicht verlieren. Und Alessandra muss ja nicht im Harem leben. Schenk ihr deinen Palast bei den Pyramiden. Richtet euch ein Liebesnest ein, wo du dich von den Staatsgeschäften ausruhen kannst.«
    Was soll ich dazu sagen?
    »Vielleicht schenkt Alessandra dir den Sohn, nach dem du dich so sehnst.«
    Ich antworte nicht.
    »Yared?«
    Ich blicke ihn zweifelnd an. »Glaubst du, sie wird mich nach Al-Kahira begleiten?«
    »Frag sie.«
    Zögernd nicke ich. »Aber morgen können wir noch nicht aufbrechen, Uthman. Ich brauche Zeit.«
    »Wie lange?«
    »Einen Tag.«
    Uthman nickt bedächtig. »Nach dem Attentat letzte Nacht würden dir ein paar Stunden Ruhe und Besinnung sicher guttun. Wir verschieben die Abreise um einen Tag.«
    Dann drückt er mir den aufgeschlagenen Koran in die Hand.

· Alessandra ·
Kapitel 47
    Im jüdischen Viertel
    Fasika, 2. Miyazya 6945
    18. Dhu’l Hijja 848, 21. Nisan 5205
    Ostersonntag, 28. März 1445
    Kurz nach elf Uhr morgens

    Keine zehn Schritte von mir entfernt steht Dom Tristão.
    Mit zitternden Fingern entfalte ich den Zettel. Seine Botschaft hat er mit einem Silberstift auf das Papier gekritzelt:

Wenn Euch das Leben des Jungen am Herzen liegt, dann folgt mir allein mit zehn Schritten Abstand. Ich warne Euch – Ihr werdet beobachtet.

    Ich knülle den Zettel zusammen und hebe die Hand zum Zeichen, dass ich einverstanden bin. Als er mir zunickt, wende ich mich an Rabbi Eleazar. »Würdest du den Toten bitte in die Zitadelle bringen lassen? Aber warte damit noch eine Stunde. Der Emir ist vorhin zur Al-Aqsa geritten. Bitte sag Yared, was geschehen ist.«
    »Und du?«
    »Richte ihm aus, dass ich in ein oder zwei Stunden in die Zitadelle zurückkehren werde.«
    Während ich ein paar Zeilen für Yared auf die Rückseite des Zettels schreibe, zeigt Eleazar beunruhigt auf den Goj, der auf mich zu warten scheint. »Er hat den Mamelucken

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