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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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für die, die euch misshandeln‹? Kreuzzüge gegen orthodoxe Christen und Muslime, Hetzpredigten und Inquisitionsprozesse, Ketzerhinrichtungen, Bücherverbrennungen und der Massenmord an Juden sind gegen alle Regeln der Vernunft!«, bricht es hitzig aus mir hervor. »Nein, es war nicht Marcantonio Colonna, der mich diesen Schlag gelehrt hat, sondern mein Freund Tayeb.«
    Er wendet sich ab. Ich warte, bis er die Stufen der Via Dolorosa hinaufstolpert, dann folge ich ihm langsam mit zehn Schritten Abstand in Richtung Golgata. Am Tor des Gerichts biegen wir nach rechts ab in den Souk Khan ez-Zeit. In den Läden aus der Kreuzfahrerzeit hocken arabische Männer, trinken Sherbet, Shai oder Qahwa und gluckern gemütlich mit ihren Wasserpfeifen. Dann haben wir das Damaskustor erreicht und verlassen die Stadt.
    Tristão wendet sich nicht nach links auf die Straße nach Dimashq, sondern schlägt sich ins trockene Gebüsch. Kurz darauf haben wir ein zugewuchertes antikes Grab erreicht, das in den Fels eines Hügels gehauen wurde.
    Da ist auch Lançarote. Er sitzt auf dem umgestürzten Rollstein und erhebt sich, als er uns kommen sieht.
    Wortlos schleicht Tristão an ihm vorbei in die Grabkammer.
    Lançarote blickt ihm verdutzt nach. Dann wendet er sich zu mir um. »Du lieber Himmel, Ihr habt ihm …?« Er fasst sich in den Schritt.
    »O ja!«, versichere ich ihm. »Und wie!«
    »Autsch!« Das schadenfrohe Grinsen kann er sich nicht verkneifen.
    »Also kommt mir nicht zu nah!«, drohe ich ihm.
    »Ich kann mich beherrschen.«
    »Ist Elija hier?«
    »Nein.«
    »Geht es ihm gut?«
    »Seid unbesorgt. Abgesehen von ein paar vergossenen Kullertränen geht es der kleinen Rotznase gut.« Er deutet auf den Eingang des Felsengrabes. »Tristão will wegen der aramäischen Schriftrolle mit Euch reden.«
    »Ich habe ihm auch ein paar Takte zu sagen.«
    Lançarote hebt die Augenbrauen. »Und was?«
    Wortlos ziehe ich das päpstliche Breve hervor, das ich schon seit Karfreitag mit mir herumtrage, und gebe es ihm.
    Unruhig, als ahnte er schon, was das Schreiben für ihn bedeutet, entfaltet er das steife Pergament und liest den lateinischen Text. Bleich starrt er auf das Siegel von Papst Eugenius und sinkt zurück auf den Rollstein.
    »Nosso Senhor Jesu Cristo!«, flüstert er fassungslos und bekreuzigt sich. Dann bricht er in Tränen aus.

· Yared ·
Kapitel 48
    In Yareds Gemächern in der Zitadelle
    Fasika, 2. Miyazya 6945
    18. Dhu’l Hijja 848, 21. Nisan 5205
    Ostersonntag, 28. März 1445
    Eine Viertelstunde vor zwölf Uhr mittags

    »Hayya ala as-salaaaaaat!« , ruft der Muaddin zum Gebet.
    Aufgewühlt stehe ich am Fenster meines Arbeitszimmers und blicke hinüber zur Al-Aqsa, wo die Gläubigen zum Mittagsgebet zusammenströmen. Im Arm halte ich den Koran.
    »Bist du überhaupt noch ein Jude?«, hat Uthman mich vor zwei Tagen gefragt. Ich habe ihm gestanden, wie sehr mein Herz und mein Verstand miteinander ringen, weil ich mich entscheiden muss, was mir wichtiger ist: meine Macht, mein Liebesglück, meine Hoffnung auf ein Kind, meine Freiheit oder mein Judesein.
    »Du hast keine Kinder, an die du das kostbare bisschen Judentum, das du dir nach all den Jahren des Leidens bewahrt hast, weitergeben könntest.«
    Das kostbare bisschen Judentum … dieses kostbare bisschen Geborgenheit … diese wenigen kostbaren Erinnerungen an eine Zeit des Schalom – eine Zeit von Gewaltlosigkeit, Ruhe und Frieden …
    Meine Finger streichen über die tintengewellte Seite mit der zweiten Sure. Das Pergament knackt leise. ›Kein Zwang im Glauben! Klar ist nunmehr die Wahrheit vom Irrtum zu unterscheiden. Wer die falschen Götter verwirft und an Allah glaubt, der hat einen festen Halt, der nicht reißen wird.‹
    Kein Zwang im Glauben!, denke ich verbittert.
    Keine Unterdrückung von jüdischen oder christlichen Dhimmis, um eine Bekehrung zum Islam zu erzwingen? Kein Terror? Keine Gewalt? Keine Unterdrückung? Keine Demütigung? Kein gefolterter koptischer Papst, keine gekreuzigten Franziskanermönche, keine brennenden Synagogen. Kein Zwang im Glauben. Eine heiliggesprochene Unwahrheit!
    Ich falte die Ernennungurkunde des Sultans auseinander, die Uthman mir am Freitag gegeben hat, und starre auf die verschnörkelten Schriftzeichen.
    Was könnte ich als Dawadar bewirken!
    »Hayya ala al-falaaaaaah!« Eilt zur Seligkeit, ihr Gläubigen!
    In diesem Augenblick wird die Tür aufgerissen, und Alessandra stürmt herein. Ich lege den Koran auf meinen Schreibtisch,

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