Der Gottesschrein
getötet.«
»Ja.«
»Und Elija entführt.«
»Ja.«
»Er wird dich töten.«
»Nein, Eleazar, das wird er nicht tun. Nimmst du den Habit meines Vaters mit in die Zitadelle? Und gib diesen Zettel dem Emir.«
Er umarmt mich herzlich. »Pass auf dich auf, mein Kind!«
»Mach ich«, lächele ich beklommen, drehe mich um und folge Tristão durch das muslimische Al-Maghribi-Viertel in Richtung des Tempelbergs.
Während er den weiten Platz vor der Klagemauer so schnell überquert, dass ich Mühe habe, den Abstand zwischen uns nicht größer als zehn Schritte werden zu lassen, dreht er sich immer wieder zu mir um. Auf der Kettenstraße wendet er sich nach rechts und drängt sich durch eine Pilgergruppe, die uns von der Via Dolorosa auf staubigen Eseln entgegenreitet. Dann biegt er in die quirlige Tariq al-Wad, die Tal-Straße, ein und folgt ihr nach Norden. Ein Blick nach rechts in den Souk al-Kattanin, den Baumwollmarkt, lässt mich einen Blick auf die in der Sonne gleißende Kuppel des Felsendoms erhaschen, die über uns aufragt.
Plötzlich ist er verschwunden. Verwirrt bleibe ich stehen und blicke mich um. Wo, zum Teufel, steckt er? Ist er vor mir? Oder hinter mir? Ich umklammere den Griff meines Dolchs, halte mich dicht an den Hauswänden, blicke mich immer wieder um und gehe langsam weiter.
Zu Tode erschrocken zucke ich zusammen, als ich mit einem Ruck um die Ecke in die Via Dolorosa gezerrt werde. Tristão! Mit der Hand an meiner Kehle stößt er mich gegen die Wand der Kapelle an der fünften Station des Leidensweges Christi, presst sich mit seinem ganzen Gewicht gegen mich und späht um die Ecke in die Tariq al-Wad, ob wir verfolgt werden. Mit einer Hand hält er mir den Mund zu.
»Lasst mich los!«, keuche ich.
Er reagiert nicht, drückt mir die Kehle zu und beobachtet weiter die Talstraße. Die beiden Nonnen im schwarz-weißen Clarissenhabit, die sich keine fünf Schritte entfernt vor dem Portal der Kapelle zum Gebet niederknien, bekreuzigen sich und tuscheln, lassen uns aber nicht aus den Augen. Wofür halten sie uns – für ein Liebespaar? Gott bewahre!
Mit einem heftigen Ruck ramme ich mein Knie in Tristãos Unterleib und stoße ihn mit beiden Händen zurück. Keuchend taumelt er rückwärts in die Via Dolorosa und lässt mich los.
Jesus Christus, tat das gut! Die unterdrückte Wut und der Hass, die sich wie eine glühende Zwinge um mein Herz zusammengezogen hatten, zerschmelzen zu einem derart wohligen Gefühl der Erleichterung, dass ich überlege, ob ich nicht gleich noch einmal zutreten will. Leiden soll er, sich unter Schmerzen auf dem Boden winden, dieser Henkersknecht Christi! Doch dann spüre ich, wie allmählich die Anspannung von mir abfällt, und atme tief durch.
»Ich sagte: Lasst mich los!«, wiederhole ich heiser. Ich habe Mühe zu schlucken und muss würgen. »Kommt mir nie wieder zu nahe! Nie wieder! «
Mit schmerzverzerrtem Gesicht stützt sich Tristão an der Wand der Kapelle ab, an der ein lateinisches Graffiti prangt: ›Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan.‹
Die beiden Nonnen starren mich mit weit aufgerissenen Augen an.
»Mein Ehrenwort«, knirscht er.
»Was, glaubt Ihr, ist mir das wert? Ihr habt meinen Freund ermordet, einen unschuldigen Mönch. Und seit ich den Vatikan verlassen habe, muss ich um mein Leben fürchten und um das meines Freundes. Wie nanntet Ihr ihn? Sandfresser? Kamelficker?« Ich schmettere ihm mit voller Wucht meine Faust ins Gesicht. Er stöhnt vor Schmerz, als ich mit meinem Siegelring sein zugeschwollenes Auge treffe, und stolpert gegen die Wand. »Tayeb ist nicht weniger adelig als Ihr oder ich. Erweist ihm den Respekt, der ihm gebührt.«
Die beiden Clarissen springen auf, raffen ihre Gewänder und flüchten in Richtung der nächsten Station.
»Was ist?« Verächtlich blicke ich auf ihn hinab. »Können wir jetzt weitergehen?«
Mit dem Handrücken wischt er sich das Blut von der Wange und nickt. »Wo habt Ihr gelernt, derart zuzuschlagen?«, ächzt er. »Hat Euer Großvater Marcantonio Colonna, der Feldherr der Kirche, es Euch beigebracht?«
»Gott bewahre! Mein Vater hätte ihm die Leviten gelesen, und Papst Martin hätte ihn vermutlich mit dem Kirchenbann belegt! Wusstet Ihr nicht, dass die römische Kirche Gewalt zutiefst verabscheut und Blutvergießen verurteilt? Dass das Gebot Jesu lautet: ›Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen, segnet die, die euch verfluchen, und betet
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