Der Gottesschrein
Mutter, meine vier Brüder und meine drei Schwestern, dass die Christen im Blutrausch meine hochschwangere Frau und meinen kleinen Sohn erschlugen, der gerade zwei Jahre alt geworden war. Er hat zugesehen, wie mir meine Freiheit genommen wurde. Wie ich in Ketten durch die Wüste gezerrt wurde, bis ich vor Erschöpfung zusammenbrach. Wie ich als Sklave verkauft wurde. Wie ich misshandelt, gequält und gedemütigt wurde. Er hat mir alles genommen, bis ich nichts mehr besaß außer dem nackten Leben.
Soll ich ihn dafür lobpreisen, wie Ijob es getan hat? ›Der Herr hat gegeben und der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.‹ Nein, Benyamin, ich habe nicht Ijobs Nachsicht mit einem Gott, der mit Satan um ein Menschenleben spielt. Oder soll ich Jahwe vorwerfen, dass er sich an mir versündigt hat, und ihm sagen, dass ich bereit bin, ihm zu vergeben? Nein, Benyamin, was er getan hat, kann ich ihm nicht verzeihen!
Die Christen haben Rebekka ermordet, die ich sehr geliebt habe, und Yona, meinen kleinen Sohn! Er kann sie mir nicht wiedergeben, denn sie sind tot. Und es gibt nicht einmal ein Grab, an dem ich um sie trauern könnte.«
Benyamin nickte traurig. Von dem furchtbaren Tod seiner Schwester und seines Neffen hatte er erst erfahren, als er mich nach all den Jahren der Suche in Al-Kahira wiedersah.
»Und er hat mir das größte Unglück widerfahren lassen. Ich habe kein Kind. Und ich bin unfähig, eines zu zeugen, weder mit Jadiya noch mit einer der Sklavinnen, die sie mir ins Bett schickt. Keine von ihnen wird mir den ersehnten Erben schenken, der mir eines Tages nachfolgen kann! Gott ist Furcht erregend in seiner Macht, unbarmherzig, selbstherrlich und stolz. Aber gerecht ist er nicht.«
»Ich weiß, wie enttäuscht, wie verzweifelt du bist, Yared. Doch bedenke: ›Wen Gott liebt, den züchtigt er wie ein Vater den Sohn, den er lieb hat‹«, zitierte Benyamin eine Weisheit König Salomos, um mich zu besänftigen.
Na, wenigstens kein Spruch aus dem Buch Ijob!, dachte ich im Stillen. Einem Gott, der sich mit donnernder Stimme aus dem Sturm rechtfertigt, weil er dem Menschen gegenüber eben nicht gerecht ist, einem Gott, der sich zu seiner vollen majestätischen Größe aufrichtet und selbstgefällig verkündet, dass seine Gerechtigkeit über Ijobs Verstand geht, dem verweigere ich mich. Seit jenen furchtbaren Jahren der Sklaverei, der Gewalt, der Armut und des Hungers habe ich Jahwe trotzig Widerstand geleistet. Ich werde keine Selbstgespräche mit einem beleidigt schweigenden Gott mehr führen um Macht und Recht und den Sinn eines gebrochenen Bundes zwischen Mensch und Gott.
»Der Herr liebt dich, Yared, denn er hat dich all die Leiden überleben lassen«, redete Benyamin unbeirrt weiter auf mich ein. »Der Herr liebt dich, wie er Joseph geliebt hat, der dem ägyptischen Pharao als Wesir diente wie du dem Sultan von Ägypten. Der Herr liebt dich, wie er Moses geliebt hat, der sein Volk in die Freiheit führte.
Nach all den Jahren der Gewalt, der Unfreiheit und der Demütigungen hat Gott dir alles zurückgegeben, was du zuvor in Gharnata besessen hast: Erfolg, Respekt, Ruhm, Ehre, Reichtum, verschwenderischen Luxus, Liebe, Glück und Lebensfreude. Das Vertrauen des Sultans. Und Macht – mehr denn je! Ja, ich weiß, es ist üblich, dass muslimische Herrscher ihren Leibärzten hohe Regierungsämter anvertrauen, um sie an sich zu binden. Aber dich hat Sultan Jaqmaq, dessen Leben in deiner Hand liegt, mächtiger gemacht als jeden anderen: Fürsten liegen vor dir im Staub und fürchten deinen Zorn.«
Ich schüttelte den Kopf. »Benyamin, du …«
»Ist Tughan al-Uthmani etwa nicht heute Mittag auf dem Berg Zion vor dir auf die Knie gefallen, als er den Steigbügel hielt, um dir vom Pferd zu helfen?«, unterbrach er mich hitzig. »Hat er nicht den staubigen Saum deines Gewandes geküsst, bevor er Uthman, den Sohn des Sultans, begrüßte? Tughan ist der Vizekönig von Dimashq, der Stellvertreter des Sultans in Jeruschalajim!«
»Tughan hasst mich. Er glaubt, dass ich ihm Jadiya weggenommen habe. Er wollte sie heiraten und als Schwiegersohn des Sultans sein Nachfolger werden.«
»Soll er dich hassen, Yared! Soll er dich, den Juden, den Dhimmi, fürchten!« Sein kastilisches Temperament ging wieder mit ihm durch. »Aus dem Sklaven von einst, der nicht mehr als das nackte Leben, seine Trauer und seinen Zorn besaß, ist ein Mächtiger geworden. Einer, der mit Gott ringt. Ein Sohn Israels!« Benyamin
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