Der Gottesschrein
führt.
Der Boden ist mit scharfkantigen Steinsplittern bedeckt, und ich muss achtgeben, dass ich mich nicht verletze. Die Decke besteht aus behauenen Quadern.
Vor mir schimmert die Goldmünze. Ich halte sie in den Schein der Fackel, die Tayeb durch den Gewölberiss geschoben hat. »Ein Golddinar. Ägypten. Fünfzehntes Jahrhundert.« Ich schmunzele. »Soll ich dir die Inschrift vorlesen, Tayeb? Sie lautet: ›Sultan Al-Ashrafi az-Zahir Sayf ad-Din Jaqmaq. Al-Kahira, 847‹. Diese Münze ist letztes Jahr in Kairo geschlagen worden. Der Dinar ist sehr selten, denn florentinische Fiorini und venezianische Zecchini sind seit zwanzig Jahren Hauptzahlungsmittel im Reich des Mameluckensultans. Ich habe einen kostbaren Schatz gefunden! Das müssen wir feiern, Tayeb!«, scherze ich übermütig. »Ich bezahle das Abendessen!«
»Und ich dachte, du finanzierst die gesamte Expedition«, kommentiert Tayeb trocken.
Ich stecke die Münze ein und krieche weiter durch den Gang, dessen Wände nun nicht mehr aus Quadersteinen bestehen, sondern aus dem Fels geschlagen wurden.
»Vor mir teilt sich der Gang. Ich kann nicht erkennen, wohin er führt. Wirf mir deine Fackel herunter.«
Der brennende Kienspan bleibt polternd im Geröll neben mir liegen. Auf allen vieren rutsche ich weiter.
Der Korridor ist aus dem massiven Fels gehauen. Er endet in einem großen Gewölbe, dessen Ende ich nur schemenhaft erkennen kann. Es muss vierzig oder fünfzig Schritte lang sein. Der Boden liegt zwanzig Ellen unter mir.
»Eine ausgetrocknete Zisterne.« Ich schiebe mich einige Handbreit vorwärts und hebe die Fackel, um besser sehen zu können. »Es gibt einen Gang, der nach Norden führt. In Richtung Felsendom.«
»Warte! Ich komme zu dir.«
Wenig später steht Tayeb neben mir auf dem mit Sand und Steinen bedeckten Boden der Zisterne.
Als ich ihn zu dem Gang führe, der nach Norden weist, bleibt er plötzlich stehen und deutet auf den Sand unter unseren Füßen. »Da sind Fußspuren! Irgendjemand war vor uns hier!«
»Die Tempelritter?«, flüstere ich.
· Yared ·
Kapitel 4
Auf dem Davidsturm der Zitadelle
16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
Karfreitag, 26. März 1445
Eine halbe Stunde nach Mitternacht
Mit erhobener Klinge stürzt sich der Attentäter auf mich. »Im Namen Allahs! Stirb, du Kafir, du gottloser Jude!«
In diesem Augenblick wirbele ich mit einer geschmeidigen Bewegung herum, springe auf ihn zu, ducke mich unter seinem niedersausenden Schwert hindurch und stoße ihm meinen Dolch mit aller Kraft in die Brust, sodass er zurücktaumelt.
Schwankend weiche ich einen Schritt zurück.
Mein Herz pumpt Eiskristalle durch meine Adern.
Mit weit aufgerissenen Augen starrt er mich an. Ungläubig. Und zu Tode erschrocken. Dann stürzt er rückwärts zu Boden.
Mit wehendem Gewand stürmt der andere Schatten heran, drei Schritte, vier, fünf, dann reißt er in einer weit ausgreifenden halbmondförmigen Bewegung sein im Flackern der Blitze schimmerndes Schwert hoch, flüstert »Bism’Allah!« und tötet den Assassinen mit einem einzigen kraftvollen Hieb.
Erleichtert atme ich auf und lehne mich gegen die Zinnen.
Meine Knie zittern, und ich fröstele, als die Anspannung von mir abfällt.
Uthman wirft einen verächtlichen Blick auf den Toten, kommt zu mir herüber und umarmt mich. »Ich habe mir Sorgen gemacht, als du auf den Turm gestiegen bist, um allein zu sein. Einer von Tughans Dienern ist dir gefolgt – das Silbertablett mit dem kandierten Ingwer hat er im Empfangssaal stehen lassen.« Als er zurücktritt, fällt sein Blick auf meine blutbespritzte Djellabiya. »Bist du verletzt?«
»Es geht mir gut.«
»Allah hält schützend seine Hand über dich«, seufzt der Prinz und hilft mir aus dem Brokatmantel, den er achtlos ins Rosenbeet wirft. Dann zieht er seinen eigenen aus und hängt ihn mir um die Schultern. »Du zitterst, Yared«, sorgt er sich. »Leg deinen Arm um mich. Ich bringe dich in deine Gemächer. Du musst dich ausruhen.«
»Ich will erst mit Tughan reden.«
»Das dachte ich mir«, meint er trocken.
Arm in Arm gehen wir durch den Garten zur Treppe, die zu den Wohnräumen hinabführt. Uthman hat seinen Arm um mich gelegt – aber nicht, weil meine Knie unter mir nachgeben und ich auf den Stufen stürzen könnte, sondern um mich seiner unverbrüchlichen Freundschaft zu versichern.
Uthman braucht mich, meinen Einfluss und meine Macht. Denn nach dem Tod seines sterbenskranken Vaters, dessen Leben in meiner Hand
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