Der Gottesschrein
verlassen hat, glaubte ich, ich könnte nicht weiterleben, denn ein Teil von mir war gestorben.
Ich setze mich auf und wickele mich in das Bettlaken, um das Schlafgemach zu erforschen und dabei herauszufinden, wer dieser rätselhafte Yared al-Gharnati ist, der mich zu sinnlichen Wunschträumen verführt.
An der Wand gegenüber steht ein Tisch aus altem Zedernholz. Er sieht aus, als stamme er aus einer Kreuzfahrerburg und Richard Löwenherz habe schon an ihm gespeist. Davor steht ein Sessel mit hoher Lehne.
Auf dem Tisch ruhen eine Silberschale mit kandiertem Ingwer und eine halb geleerte Glaskaraffe mit einem rubinroten Wein, vermutlich aus Galiläa. Daneben stapeln sich arabische, hebräische und aramäische Bücher, die wahrscheinlich aus der Bibliothek des armenischen Patriarchats neben der Jakobuskathedrale entliehen wurden.
Während ich mit den Fingern über die tintengewellten Seiten eines aramäischen Buches streiche, frage ich mich, ob Yared den Papyrus lesen kann, den der Christusritter aus der Lade der Templer entwendet hat.
Die Werke von Yehuda Halevi und Moses ben Maimon gehören Yared – sein Name steht in arabischer Schrift im hinteren, aus jüdischer Sicht, vorderen Buchdeckel. Als Hofarzt von Sultan Salah ad-Din und als Führer der jüdischen Gemeinde von Kairo hatte Moses ben Maimon, der große Gelehrte aus Córdoba, eine ebenso herausragende Stellung im ägyptischen Reich inne wie Yared.
Die Seite in Maimonides’ Führer der Verwirrten, die Yared zuletzt gelesen hat, ist mit einem gepressten Papyrusstängel markiert, auf dem in purpurroter Tinte ein Koranspruch prangt: ›O ihr, die ihr glaubt, sucht Hilfe in Standhaftigkeit und Gebet. Denn Allah ist mit den Standhaften!‹ Darunter stehen in zierlicher Schrift die Worte: ›Mein Herz ist voller Hoffnung, während du in Mekka bist. Meine innigen Gebete begleiten dich. Voller Sehnsucht erwarte ich deine Rückkehr. Ich liebe dich. Jadiya.‹
Ich halte inne und starre den Papyrus an. Dann lege ich ihn zurück in den Folianten.
In Yehuda Halevis Buch hat Yared die Absätze unterstrichen, in denen der Dichter in poetischen und sehr gefühlvollen Worten die Rückkehr in die Heimat Israel beschreibt.
Im Innersten berührt, so tief in die Gedanken eines Menschen einzudringen, der mir plötzlich nicht mehr fremd und bedrohlich erscheint und der mir mit jedem Schritt, den ich tiefer in seine Gedankenwelt vordringe, vertrauter und liebenswerter wird, schließe ich das Buch.
Neben meiner Reisetruhe, die Arslan gestern Nacht noch aus dem Funduk holen ließ, wo Tayeb und ich in den letzten Tagen gewohnt haben, entdecke ich das Templerschwert. Bevor die Klinge zerbrach, war es sehr wertvoll. Der vergoldete Griff ist mit einem roten Templerkreuz geschmückt. Wem gehörte dieses Schwert? Und wie gelangte es in den eingestürzten Gang …?
Ein Geräusch an der Tür!
Yared hat Tayeb und mich beschworen, über das, was letzte Nacht im Tempelberg geschehen ist, Stillschweigen zu bewahren! Geschwind verberge ich das Schwert in meiner Truhe und verriegele das muslimische Kombinationsschloss aus Messing.
Saphira betritt den Raum. Yareds Dienerin ist so schön wie die Geliebte in König Salomos Hohelied. Ihr Liebreiz ist bezaubernd, ihr Lächeln ist durchdrungen von stillem Glück, als sei sie verliebt. Ihre Bewegungen sind geschmeidig, und das rosenfarbene Seidengewand, das sie mit einer Schärpe in der Farbe einer Aprikose gegürtet hat, ist schlicht, aber trotzdem sehr elegant. Mit einem selbstbewussten Lächeln, leuchtenden Augen und einem leichten Neigen des Kopfes, das nicht demütig war, sondern stolz, hat sie mir verraten, dass sie ein Geschenk an Yared ist und dass sie sich als seine Sklavin um sein Wohlbefinden kümmert. Was das bedeutet, begriff ich, als Saphira mich letzte Nacht mit einem warmen Lächeln umsorgte, mich entkleidete, badete, abtrocknete, mit Duftöl einrieb und meine Haare bürstete, während eine andere Dienerin Yareds Bett mit einem frischen Laken bezog, damit ich darin schlafen konnte. Es war ein sinnliches Vergnügen, mich von Saphira verwöhnen zu lassen, und ich vermute, dass Yared es ebenso mit allen Sinnen genießt. Die Vorstellung, dass sie ihn entkleidet, badet und mit Duftöl massiert, ist … erregend.
»Du bist schon aufgestanden«, wundert sie sich. »Hast du gut geschlafen? Du warst ja ganz erschöpft.«
Verlegen raffe ich das Bettlaken enger um mich. »Wie geht es Tayeb?«
»Er schläft noch fest. Yared hat ihm
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