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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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stimmt.«
    »Wieso?«
    »Weil ich …« Sie atmet tief durch und wirft ihrem Freund einen raschen Blick zu.
    Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass Tayeb unmerklich nickt.
    »… weil ich erst vor Kurzem herausgefunden habe, dass ich jüdische Vorfahren habe.«
    Wen meint sie?, frage ich mich und betrachte sie aufmerksam. Die Colonna, die mächtigste Familie Roms, der ihre Mutter, eine Cousine des letzten Papstes, angehörte? Oder die Verwandten ihres Vaters Luca d’Ascoli, des Inquisitors von Rom, der aus ärmlichen Verhältnissen stammte und in Ascoli, einem winzigen Spatzennest nördlich von Rom, geboren wurde? Das alles hat mir Patriarch Philotheos erzählt, als er mir den Brief des Papstes überbrachte.
    Aber … ein jüdischer Inquisitor? Nein, das ist undenkbar!
    »Bist du Jüdin?«
    »Nein, ich bin Christin. Mit jüdischer Herkunft.«
    »Das muss … schwierig sein«, vermute ich.
    »Nicht schwieriger, als die illegitime Tochter eines exkommunizierten Dominikanermönchs und ehemaligen Inquisitors zu sein. Nicht schwieriger, als die Cousine des letzten Papstes zu sein, eine Colonna, deren Familie in den letzten Jahren seit dem Tod von Papst Martin immer wieder Opfer von Inquisitionsprozessen war und wegen Hochverrats gegen Papst und Kirche gefoltert und hingerichtet wurde.«
    Sie weicht meinem forschenden Blick nicht aus.
    »Und warum wirst du von einem Christusritter verfolgt? Du bist schließlich eine Vertraute von Papst Eugenius.«
    »Das ist eine sehr lange Geschichte voller Mysterien.«
    »Ich würde sie gern hören, bevor mir mein Sekretär morgen ein Todesurteil vorlegt und der Sohn von Sultan Jaqmaq mir die gespitzte Feder in die Hand drückt, damit ich es sofort unterzeichne. Als frommer Muslim wird Prinz Uthman gewiss nicht begeistert sein, wenn er erfährt, dass ihr den Haram ash-Sharif entweiht habt. Wenn ich das Todesurteil nicht unterschreibe, wird er es tun …«
    Alessandra nickt beklommen.
    »… und deshalb schlage ich vor, dass wir so lange Stillschweigen darüber bewahren, bis du mir deine Geschichte erzählt hast. Heute Nacht steht ihr unter meinem Schutz.«
    Bevor sie antworten kann, stemmt sich Arslan aus der Öffnung im Marmorboden und kommt zu uns herüber.
    »Er ist mir entkommen«, gesteht er außer Atem auf Tscherkessisch. Irritiert mustert er Tayeb, der neben mir auf der Treppe hockt. »Ich habe ihn den Gang entlang verfolgt. Bis zum römischen Aquädukt. Dann war er plötzlich verschwunden. Tut mir leid, Yared.«
    »Schon gut. Ist er noch im Labyrinth?«
    »Ich glaube schon. Wenn ich ihn mit meinen Männern suche …«
    »Nein!« Uthman darf auf keinen Fall wissen, wo ich heute Nacht gewesen bin. »Tayebs Wunden müssen versorgt werden. Er hat Schmerzen. Und auch Alessandra blutet. Wir gehen zur Zitadelle zurück.«

· Alessandra ·
Kapitel 15
    In Yareds Schlafgemach in der Zitadelle
    16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
    Karfreitag, 26. März 1445
    Kurz vor Sonnenaufgang

    Der erste Gebetsruf reißt mich aus meinen Träumen.
    »Allahu akbar! Allaaaaaaahu akbaaaaaaarrrrr!«
    Seufzend räkele ich mich im Bett, einem weichen orientalischen Ruhelager mit goldbestickten Seidenkissen und einem Baldachin aus weißem Damast. Tief atme ich den Duftrauch ein, der sich aus einer Räucherschale neben dem Bett zur Decke kringelt. Noch ganz in den Erinnerungen an letzte Nacht gefangen, lausche ich auf den eindringlichen Gesang, in den bald ein Chor von Muezzins, jeder in seinem eigenen Rhythmus und seiner eigenen Tonhöhe, einfallen wird.
    Was für eine furchtbare Nacht! Wie hätte ich denn ahnen können, dass sie so … ja, so sinnlich endet! Yareds Hand auf meinem Knie … sein Atemhauch auf meinen Lippen … seine schönen braunen Augen mit den langen Wimpern, die im Schein der Öllampen geheimnisvoll funkelten und die mir sein inneres Glühen offenbarten …
    »Ashadu an la ilaha illa-llaaaaaaah …«
    Leise wehen die zarten Vorhänge im kühlen Morgenwind.
    Der sternenklare Himmel, den ich durch das Fenster von Yareds Schlafgemach sehen kann, ist noch dunkel. Nur ein tiefes, kühles Blau leuchtet im Osten über dem Ölberg – eine erste Ahnung von einem rosenfarbenen Sonnenaufgang, der den weißen Marmor des Felsendoms erglühen lassen wird, und von einem warmen, sonnigen Frühlingstag.
    »Ashadu an na Muhammadan rasulu-llaaaaaaah …«
    Hell strahlt der Morgenstern über Al-Quds. Trotz meiner Müdigkeit – ich habe wohl kaum zwei Stunden geschlafen – schlage ich die Bettdecke

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