Der Gottesschrein
denn dort gibt es keine Moscheen. Obwohl er sich seit unserer Abreise aus Rom darauf gefreut hat, nimmt er es erstaunlich gelassen. Was hat Yared ihm denn bloß gegeben?
Mit einem feuchten Tuch wische ich ihm den Schweiß von der Stirn. Tayeb ist sehr blass, sein Atmen ist verhalten, als bereite es ihm unendliche Mühe.
»Hast du Schmerzen?«
Er schüttelt schwach den Kopf: »Yared ist ein guter Hakim.«
»Der beste.«
»Hoffentlich schickt er dir … keine Rechnung«, frotzelt Tayeb mit einem erschöpften Lächeln.
»Glaubst du, ich kann mir den Leibarzt des Sultans nicht leisten?«
»Doch, das kannst du ganz gewiss.« Tayeb seufzt. »Doch ich frage mich … ob du ihn dir leisten willst .«
Als ich nicht sofort antworte, setzt er nach: »Du willst ihn doch, nicht wahr? … Ich habe die Glut in deinen Augen auflodern gesehen … als er dich letzte Nacht berührt hat … Es hat dir gefallen … weil du dich nach all den Jahren nach Niketas’ Tod wieder lebendig gefühlt hast.« Tayeb tastet nach meiner Hand und hält sie fest. »Alessandra, mein Schatz, ich bitte dich … Stirb ihm nicht nach, sondern lebe … und liebe!«
Ich kämpfe mit den Tränen.
Glaube, Hoffnung, Liebe. Aber die Liebe ist die größte unter diesen drei. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles und hält allem stand. Und sie hört niemals auf. Bis zu seinem letzten Atemzug, seinem letzten Herzschlag und seinem letzten wachen Augenblick war ich bei Niketas. Doch als er unter Qualen in meinen Armen starb, habe ich alle drei verloren: den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Und den besten aller Menschen.
Tayeb hält noch immer meine Hand. »Ein verwundetes Herz heilt nur unter Qualen.«
Ich nicke traurig.
»Weißt du, welche Therapie der berühmte Hakim Ibn Sina zur Heilung eines gebrochenen Herzens verordnen würde?«
»Nein. Welche?«
»Keine Ahnung«, grinst er verschmitzt. »Frag Yared.«
Wider Willen muss ich lachen.
»Mach ich«, verspreche ich Tayeb im Scherz und wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel. »Sobald ich aus der Grabeskirche zurückkomme.«
»Du willst mit Gebre Christos über die Templer und den Priesterkönig reden.« Tayeb schließt die Augen.
»Und über die Christusritter. Yared weiß nichts von einem Ordenshaus in Jerusalem – ich habe ihn gefragt, als du schon eingeschlafen warst. Er hat Dom Tristão vor Jahren in Córdoba kennengelernt. Er weiß, dass er einen hohen Rang im Orden innehat. Und dass er vor acht Jahren an der Seite von Prinz Henrique von Portugal den Kreuzzug gegen die Mauren in Tanger angeführt hat.«
Tayeb liegt reglos im Bett und lächelt verzückt.
»Tayeb?«
»Hmmm.«
»Träumst du?«
»Woher kommt diese Musik?« Wohlig entspannt räkelt er sich in die Kissen. »Sie ist so schön, so zart, so … himmlisch.«
Ich halte den Atem an und lausche, doch in Tayebs Gemach ist es still. Du lieber Himmel, welches Mittel hat Yared ihm gegeben? Ich ahne es! Im Haschischrausch hat sich Tayeb in die Gärten des Paradieses verirrt.
»Tayeb?«
Er seufzt träge.
»Willst du lieber schlafen?«, frage ich ihn.
Seine Lider flattern, als er mühsam die Augen aufschlägt und mich anblickt. »Nein, erzähl weiter.«
»Ich hoffe, dass der Abt der Grabeskirche weiß, wo sich die Christusritter in Jerusalem verbergen.«
»Hmmm«, brummt Tayeb, und ich fürchte, er döst gleich ein. Dann jedoch murmelt er leise: »Angenommen, du findest diesen Dom Tristão de Castro, bevor er dich findet und tötet.« Er atmet tief ein. »Was dann?«
»Dann werde ich mir den Papyrus zurückholen. Gestern vermutete Dom Tristão, dass ich das Templerkreuz, das ihn in die Irre führen sollte, an ebender Stelle in die Skizze in meinem Notizbuch eingetragen habe, die auch der Papyrus bezeichnet. Er glaubt, dass dort, nahe dem Allerheiligsten des Tempels, die Bundeslade vergraben liegt.«
»Und dann?«
»Dann gehen wir beide ins Labyrinth zurück und suchen die Heilige Lade. Sie muss in einer Kammer hinter dem eingestürzten Gang verborgen sein, in dem ich das Templerschwert gefunden habe.«
»Das habe ich befürchtet«, murmelt er. »Ich dachte mir schon, dass du dich mit einer Handvoll Papyrusfetzen aus der Tempelbibliothek nicht zufriedengeben wirst, wenn du die Steintafeln mit den Zehn Geboten haben kannst, die Moses …«
Tayeb verstummt und blinzelt zur Tür hinter mir.
Erschrocken springe ich auf und wende mich um.
Ein Mann steht in der offenen Tür. Sein Gesicht liegt im Schatten, sodass ich
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