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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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ihn nicht erkennen kann.
    »Es-salamu alekum.« Er führt die rechte Hand zu seinem Herzen. »Oder zieht Ihr es vor, verehrte Contessa, wenn ich Euch auf Italienisch begrüße?« Er tritt aus den Schatten. »Buon giorno.«
    »Rabbi Benyamin! Ihr seid Yareds Sekretär?«
    Er verneigt sich. »Erst seit wenigen Monaten. Ihr erinnert Euch an mich?«, fragt er in kastilisch gefärbtem Italienisch.
    Benyamin ist erst Ende dreißig. Doch in den Jahren, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, haben sich tiefe Sorgenfalten in seine Mundwinkel gegraben – er wirkt verbittert. Obwohl er sich mir gegenüber um eine gelassene Haltung bemüht, spüre ich seine innere Anspannung. Er hält sich aufrecht und trägt die schwere Steinkugel, die seinen Nacken in Demut beugen soll, mit großer Würde. Und trotziger Selbstachtung. Aber seine Schultern sind verkrampft, als erwarte er, jeden Augenblick angegriffen, misshandelt und in die Gosse geworfen zu werden. Seine weiße Djellabiya aus ägyptischer Baumwolle und der gelbe Turban sind schlicht, wie es das Gebot der Dhimma vorschreibt.
    »Natürlich erinnere ich mich an Euch. Benyamin ben Yoel Halevi. Ihr habt Kastilien, Aragón, Frankreich und Italien bereist, um Euren Freund zu suchen. Wenn ich mich recht entsinne, seid Ihr gemeinsam mit Yared aus Granada geflohen. Während der Überfahrt von Málaga nach Alexandria gab es in der Meerenge von Gibraltar eine Seeschlacht mit portugiesischen Karavellen. Obwohl die Juden über Bord geworfen wurden und seine Frau und sein kleiner Sohn vermutlich starben, habt Ihr habt nie die Hoffnung aufgegeben, dass Yared überlebt hat.«
    »So ist es.«
    »An jenem Abend habt Ihr Rabbi Raffaele zum Abendessen in meinen Palazzo in Florenz begleitet. Das war vor vier oder fünf Jahren, während des Unionskonzils. Den ganzen Abend habt Ihr Euch mit Niketas über die Beendigung des Schismas zwischen Rom und Byzanz unterhalten.«
    »Ich war erschüttert, als ich von seinem Tod erfahren habe. Mein herzliches Beileid.«
    Ich danke ihm mit einem Nicken.
    »An jenem Abend habt Ihr mir Euer ›Gleichnis vom verlorenen Bruder‹ erzählt, das mich, einen Juden, der vor der Inquisition geflohen ist, fasziniert hat«, erinnert er sich. »Die Kirchenunion war für Euch nur ein erster Schritt auf einem langen und steinigen Weg der Annäherung von zwei einander entfremdeten Brüdern, einem christlichen und einem jüdischen, die zu demselben Gott beten, dem Gott der hebräischen Bibel.
    Euer ›Gleichnis vom verlorenen Bruder‹ habe ich nicht vergessen. Der jüdische und der christliche Bruder mögen sich hassen und verachten, doch sie sind einander nicht verloren. Das ist die verborgene Botschaft Eures Gleichnisses. Habt Ihr es jemals dem Papst erzählt?«
    »Ja.«
    »Und? Wie denkt die römische Inquisition darüber?« Er faltet seine Hände um die Steinkugel auf seiner Brust, die er, als er vor den Inquisitoren von Sevilla nach Granada geflohen ist, dem Kreuz vorgezogen hat. »Giovanni da Capestrano wäre vermutlich nicht begeistert, wenn sich der jüdische und der christliche Bruder die Hand zur Versöhnung reichen.«
    »Wohl kaum.«
    »Ihr fürchtet die Inquisition nicht?«
    »Nicht so wie Ihr sie in Sevilla gefürchtet habt, als Ihr Eure Sachen gepackt habt und mit Eurer Schwester geflohen seid«, entgegne ich. »Mein Vater hat mich gelehrt, meinen Glauben standhaft zu bekennen, ohne Selbstzweifel und ohne Todesangst. Mein Vater war Inquisitor.«
    »Das nenne ich Bekennermut.«
    »Die Inquisitoren nennen es Häresie.«
    Er verzieht die Lippen. »Ich freue mich, dass Ihr in Jeruschalajim seid, Euer Gnaden. Und ich wäre glücklich, wenn wir unsere Disputationen während der nächsten Tage fortsetzen könnten.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, haben wir uns in Florenz beim Vornamen genannt.«
    »Damals hatte Euch Seine Heiligkeit noch nicht zur Contessa ernannt und Euch den Besitz zurückgegeben, den er Eurem Großvater, dem Conte Marcantonio Colonna, dem Bannerträger der Kirche, entrissen hatte.«
    »Es ist nur ein Titel. Ich verzichte auf die förmliche Anrede.« Unvermittelt wechsele ich vom Italienischen ins Arabische. »Benyamin, bitte nenn mich wieder Alessandra.«
    »Wie du willst. Erlaube mir, dass ich mich für deine Gastfreundschaft in Florenz erkenntlich zeige, und erweise mir die Ehre, heute Abend mit mir zu speisen.«
    »Sehr gern.«
    »Ist es dir recht, wenn ich dich um neun Uhr abholen lasse?«, fragt Benyamin. »Bis dahin dürften die Audienzen beendet

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