Der Gotteswahn
dem Geschlecht Davids und aus dem Ort Bethlehem, wo David war, soll der Christus kommen?«
Matthäus und Lukas gehen anders mit dem Problem um: Sie gelangen zu dem Schluss, dass Jesus in jedem Fall in Bethlehem geboren worden sein musste. Aber dorthin gelangen sie auf unterschiedlichen Wegen. Matthäus belässt Maria und Joseph längere Zeit in Bethlehem; nach Nazareth ziehen sie erst lange nach Jesu Geburt auf dem Rückweg von Ägypten, wohin sie vor dem König Herodes und dem Blutbad an den unschuldigen Kindern geflohen sind. Lukas dagegen erkennt an, dass Maria und Joseph in Nazareth lebten, bevor Jesus geboren wurde. Wie konnten sie dann im entscheidenden Augenblick in Bethlehem sein und die Prophezeiung erfüllen? Lukas berichtet, Kaiser Augustus habe zu der Zeit, als Kyrenius (Quirinius) Statthalter in Syrien war, eine allgemeine Volkszählung zu Steuerzwecken angeordnet, und dazu habe sich »ein jeder in seine Stadt« begeben müssen. Joseph war »aus dem Hause und Geschlechte Davids« und musste deshalb »in die Stadt Davids, die da heißt Bethlehem« ziehen. Das klingt nach einer plausiblen Lösung, doch wie A.N. Wilson in Jesus (Der geteilte Jesus) , Robin Lane Fox in The Unauthorized Version (Die Geheimnisse der Bibel richtig entschlüsselt) und andere dargelegt haben, ist das historisch völliger Unsinn. Wenn David überhaupt existierte, lebte er fast tausend Jahre vor Maria und Joseph. Warum um alles in der Welt hätten die Römer von Joseph verlangen sollen, dass er sich in die Stadt begab, wo fast ein Jahrtausend zuvor einer seiner entfernten Vorfahren gelebt hatte? Es ist, als sollte ich zum Beispiel auf einem Volkszählungsformular angeben, dass meine Heimatstadt Ashby-de-la-Zouch ist, wenn ich meine Abstammung zufällig auf den Seigneur de Dakeyne zurückverfolgen könnte, der mit Wilhelm dem Eroberer nach Großbritannien kam und sich in dieser Ortschaft niederließ.
Außerdem macht Lukas seine Datierung auch dadurch zunichte, dass er so taktlos ist und Ereignisse erwähnt, die man in der Geschichtswissenschaft auch unabhängig von der Bibel nachprüfen kann. Es gab unter dem Statthalter Quirinius tatsächlich eine Steuerschätzung – es war allerdings eine lokale Zählung, die keineswegs vom Kaiser Augustus für das ganze Römische Reich angeordnet wurde –, aber die fand zu spät statt: im Jahr 6 n.Chr. lange nachdem Herodes gestorben war. Lane Fox gelangt zu dem Schluss, Lukas’ Geschichte sei historisch falsch und in sich nicht stimmig, doch er hat Mitgefühl mit dem Dilemma des Evangelisten, der unbedingt Michas Prophezeiung erfüllen wollte.
In der Dezemberausgabe 2004 von Free Inquiry stellte Tom Flynn, der Redakteur dieser ausgezeichneten Zeitschrift, eine Sammlung von Artikeln zusammen, in denen die großen Lücken und Widersprüche der allseits geliebten Weihnachtsgeschichte dokumentiert werden. Flynn selbst zählt die vielen Widersprüche zwischen Matthäus und Lukas auf, den beiden einzigen Evangelisten, die überhaupt über die Geburt Jesu berichten. Und Robert Gillooly zeigt, wie alle wesentlichen Zutaten der Jesuslegende – der Stern im Osten, die Jungfrauengeburt, die Anbetung des Babys durch die Könige, die Wunder, die Hinrichtung, die Wiederauferstehung und die Himmelfahrt – ausnahmslos aus anderen Religionen übernommen wurden, die es zu jener Zeit im Mittelmeerraum und im Nahen Osten bereits gab. 53 Nach Flynns Vermutung geriet Matthäus’ Wunsch, im Interesse der jüdischen Leser die Messiasprophezeiungen (Abstammung von David, Geburt in Bethlehem) zu erfüllen, in einen frontalen Konflikt mit Lukas’ Wunsch, das Christentum für die Nichtjuden aufzubereiten und deshalb die altbekannten Register der heidnisch-hellenistischen Religionen (Jungfrauengeburt, Anbetung durch Könige usw.) zu ziehen. Die daraus entstehenden Widersprüche fallen sofort ins Auge, werden aber von den Gläubigen stets geflissentlich übersehen.
Intellektuelle Christen brauchen keinen Gershwin, der ihnen sagt: »The things that you’re li’ble/To read in the Bible/It ain’t necessarily so.« (»Was man so in der Bibel liest, das ist nicht unbedingt so.«) Aber es gibt leider viele nicht intellektuelle Christen, nach deren Ansicht es absolut so sein muss – sie nehmen die Bibel als buchstäbliche, genaue Beschreibung der Geschichte sehr ernst und sehen darin einen Beleg, der ihre eigenen religiösen Überzeugungen stützt. Schlagen diese Menschen eigentlich das Buch, das in ihren Augen die
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