Der Gotteswahn
Regentropfen im Morsecode an das Schlafzimmerfenster klopfen lässt. Also sind religiöse Menschen zwar nicht generell geistesgestört, aber ihre Kernüberzeugungen sind es durchaus.
Auf das Thema der Halluzinationen werde ich im zehnten Kapitel noch zurückkommen.
Im menschlichen Gehirn läuft eine erstklassige Simulationssoftware. Unsere Augen liefern dem Gehirn kein naturgetreues Foto unserer Umgebung und keinen Film, der genau den zeitlichen Verlauf zeigt. Vielmehr konstruiert unser Gehirn ein ständig aktualisiertes Modell: Die Aktualisierung erfolgt zwar durch die Impulse, die den Sehnerv entlanglaufen, aber ein Konstrukt ist es dennoch. Dies machen optische Täuschungen sehr augenfällig deutlich. 50 Die Täuschungen einer wichtigen Kategorie – ein Beispiel ist der Necker-Würfel – entstehen dadurch, dass die Sinnesinformationen, die das Gehirn erhält, mit zwei verschiedenen Modellen der Realität im Einklang stehen. Da das Gehirn keine Grundlage hat, um zwischen ihnen zu entscheiden, wechselt es zwischen beiden hin und her, und wir erleben ein ständiges »Umschalten« von dem einen inneren Modell zum anderen. Das Bild, das wir betrachten, scheint fast buchstäblich »umzuspringen« und zu etwas anderem zu werden.
Besonders gut ist die Simulationssoftware unseres Gehirns in der Lage, Gesichter und Stimmen zu konstruieren. Auf meinem Fensterbrett steht eine Kunststoffmaske von Einstein. Von vorn sieht sie aus wie ein festes Gesicht, was nicht weiter verwunderlich ist. Etwas anderes aber überrascht: Wenn man sie von hinten – also auf der hohlen Seite – betrachtet, sieht sie ebenfalls wie ein festes Gesicht aus, und wir haben davon eine wahrlich eigenartige Wahrnehmung. Geht man um die Maske herum, scheint das Gesicht sich mitzudrehen, und das nicht nur auf die schwache, wenig überzeugende Weise wie die Blicke der Mona Lisa, die einen angeblich verfolgen. Es sieht wirklich aus, als würde die hohle Maske sich bewegen. Wer so etwas noch nie gesehen hat, muss beim ersten Mal vor Verblüffung tief Luft holen. Und was noch seltsamer ist: Stellt man die Maske auf einen langsam rotierenden Drehteller, scheint sie sich in die richtige Richtung zu drehen, solange man auf die feste Seite blickt, aber wenn man die hohle Seite anschaut, hat man den Eindruck, sie würde in entgegengesetzter Richtung rotieren. Die Folge: Wenn man den Übergang von der einen zur anderen Seite beobachtet, scheint die ins Blickfeld rückende Seite die andere zu »verschlingen«. Es ist eine verblüffende optische Täuschung, und es lohnt sich durchaus, ein wenig Mühe auf sich zu nehmen, um sie zu sehen. Manchmal kann man sich der hohlen Seite erstaunlich weit nähern und sieht immer noch nicht, dass sie »wirklich« hohl ist. Und wenn man es erkennt, dann wiederum mit einem plötzlichen »Umspringen«, das sich unter Umständen wieder umkehrt.
Warum passiert das? In der Konstruktion der Maske gibt es keinen Trick. Man kann dafür jede hohle Maske nehmen. Der Trick spielt sich im Gehirn des Betrachters ab. Die innere Simulationssoftware empfängt Daten, die auf ein Gesicht hindeuten – das muss nicht mehr sein als zwei Augen, eine Nase und ein Mund, alles ungefähr an den richtigen Stellen. Wenn das Gehirn diese skizzenhaften Anhaltspunkte aufgenommen hat, erledigt es selbst den Rest. Die Gesichts-Simulationssoftware wird aktiv und konstruiert ein vollständiges, festes Modell eines Gesichts, obwohl die Realität, die sich den Augen darstellt, eine hohle Maske ist. Sich klarzumachen, wie die Illusion der Drehung in der falschen Richtung entsteht, ist nicht einfach, doch wenn man genau darüber nachdenkt, erkennt man es: Die Rotation in Gegenrichtung ist die einzige Möglichkeit, die optischen Eindrücke sinnvoll zu interpretieren, wenn eine hohle Maske rotiert, die aber als feste Maske wahrgenommen wird. 51 Es ist die gleiche Illusion wie mit der rotierenden Radarschüssel, die man manchmal an Flughäfen sieht. Solange das Gehirn noch nicht das richtige Modell der Antenne entworfen hat, scheint ein falsches Modell sich auf seltsam schiefe Weise in der umgekehrten Richtung zu drehen.
All das soll hier nur dazu dienen, deutlich zu machen, wie leistungsfähig die Simulationssoftware unseres Gehirns ist. Sie kann ohne weiteres »Visionen« und »Erscheinungen« von höchster Überzeugungskraft konstruieren. Einen Geist, einen Engel oder die Jungfrau Maria zu simulieren wäre für eine derart hoch entwickelte Software ein
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