Der Gotteswahn
dem Alten Testament; die Autoren der Evangelien waren zutiefst überzeugt, das Leben Jesu müsse alttestamentarische Prophezeiungen erfüllen. Man kann sogar eine ernsthafte historische Argumentation konstruieren – die allerdings keine verbreitete Unterstützung erfährt –, wonach Jesus überhaupt nie gelebt hat; diese Ansicht vertrat unter anderem Professor G.A. Wells von der University of London in mehreren Büchern, darunter einem mit dem Titel Did Jesus Exist? (»Hat Jesus existiert?«).
Vermutlich hat es Jesus also tatsächlich gegeben, doch sehen renommierte Bibelforscher im Neuen Testament (und natürlich erst recht im Alten Testament) ganz allgemein keinen zuverlässigen Bericht über die tatsächlichen historischen Ereignisse, und deshalb werde ich die Bibel von jetzt an auch nicht mehr als Beleg für irgendeine Art von Gottheit heranziehen. Oder mit den weitsichtigen Worten, die Thomas Jefferson an seinen Amtsvorgänger als Präsident der Vereinigten Staaten, John Adams, schrieb: »Es wird der Tag kommen, an dem die mystische Entstehung Jesu im Leib einer Jungfrau und mit dem höchsten Wesen als Vater in die gleiche Kategorie eingeordnet werden wird wie die Fabel von der Geburt der Minerva aus dem Kopf Jupiters.«
Der Roman The Da Vinci Code (Sakrileg) von Dan Brown und der danach gedrehte Film gaben in Kirchenkreisen den Anlass zu gewaltigen Kontroversen. Christen wurden aufgefordert, den Film zu boykottieren und vor den Kinos, die ihn zeigten, Mahnwachen aufzustellen. Tatsächlich ist die Geschichte von Anfang bis Ende erfunden und reine Fiktion. In dieser Hinsicht gleicht sie genau den Evangelien. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Sakrileg eine moderne literarische Erfindung ist, während die Evangelien schon vor sehr langer Zeit erfunden wurden.
Das Argument der bewunderten religiösen Wissenschaftler
Intellektuell hervorragende Menschen glauben in ihrer großen Mehrheit nicht an die christliche Religion, aber in der Öffentlichkeit halten sie diese Tatsache geheim, weil sie Angst haben, ihr Einkommen zu verlieren.
Bertrand Russell
»Newton war religiös. Wer sind Sie denn, dass Sie sich für klüger halten als Newton, Galilei, Kepler usw. usw. usw.? Wenn Gott für die gut genug war, was glauben Sie denn, wer Sie sind?« Bei einer derart verfehlten Argumentation kommt es darauf zwar auch nicht mehr an, aber manche ihrer Vertreter fügen sogar noch den Namen Darwin hinzu, von dem in hartnäckigen, allerdings nachweislich falschen Gerüchten behauptet wird, er habe sich auf dem Sterbebett bekehrt. Solche Geschichten kommen wie ein schlechter Geruch immer wieder auf, [16] seit sie absichtlich von einer gewissen »Lady Hope« in die Welt gesetzt wurden: Sie erzählte ein rührendes Märchen, wonach Darwin in der Abendsonne in seinen Kissen gelegen, im Neuen Testament geblättert und gestanden habe, die ganze Evolution sei falsch.
Ich werde mich im vorliegenden Abschnitt vor allem auf Naturwissenschaftler konzentrieren, denn aus naheliegenden Gründen wählen alle, die mit den Namen bewunderter Persönlichkeiten als religiösen Vorbildern hausieren gehen, sehr häufig Vertreter der Naturwissenschaft.
Newton behauptete tatsächlich, er sei religiös, und das Gleiche taten bis zum 19. Jahrhundert fast alle. Denn erst dann ließ – was nach meiner Überzeugung bedeutsam ist – gegenüber früheren Jahrhunderten der gesellschaftliche und juristische Druck nach, sich zur Religion zu bekennen, während gleichzeitig die Wissenschaft mehr Unterstützung bot, um sich von der Religion loszusagen. Natürlich gab es in beiden Richtungen Ausnahmen. Schon vor Darwin waren nicht alle Wissenschaftler gläubig; dies zeigt James Haught in 2000 Years of Disbelief: Famous People with the Courage to Doubt (»2000 Jahre Unglauben: Berühmte, die den Mut zum Zweifel hatten«). Und umgekehrt waren manche angesehenen Wissenschaftler auch nach Darwins Zeit noch gläubig. Wir haben keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass Michael Faraday auch zu einer Zeit, als er über Darwins Arbeiten bereits Bescheid wissen musste, noch ehrliche christliche Überzeugungen hegte. Er gehörte der Sekte der Sandemanisten an, die an eine wörtliche Interpretation der Bibel glaubten (Vergangenheitsform, denn die Sekte ist heute praktisch ausgestorben); neu aufgenommenen Mitgliedern wurden rituell die Füße gewaschen, und man zog Lose, um Gottes Willen festzustellen. Faraday wurde 1860, ein Jahr nach dem Erscheinen der Entstehung
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