Der Gotteswahn
Sonnensystems bemerkbar machen müssen, mit derart starken Beschleunigungskräften, dass alle Menschen in den Weltraum geschleudert worden wären. In diesem Zusammenhang fällt einem unweigerlich David Humes prägnantes Kriterium für Wunder ein: »Keine Zeugenaussage reicht aus, um ein Wunder zu belegen, es sei denn, die Zeugenaussage ist so, dass ihre Falschheit noch wundersamer wäre als die Tatsache, von der sie berichtet.«
Dass siebzigtausend Menschen gleichzeitig eine Wahnvorstellung haben oder sich zu einer massenhaften Lüge verabreden, mag unwahrscheinlich sein. Ebenso unwahrscheinlich ist es vielleicht, dass die Historiker mit ihrem Bericht, siebzigtausend Menschen hätten die Sonne tanzen gesehen, einen Fehler gemacht haben, oder dass alle gleichzeitig eine Luftspiegelung gesehen haben (man hatte sie überredet, in die Sonne zu blicken, was für ihr Augenlicht bestimmt nicht gut war). Aber jede dieser offenkundig unwahrscheinlichen Möglichkeiten ist immer noch viel wahrscheinlicher als die Alternative: dass die Erde plötzlich in ihrer Umlaufbahn seitwärts kippte und das Sonnensystem zerstört wurde, ohne dass es außerhalb von Fatima jemand bemerkt hätte. Ich meine, so abgelegen ist Portugal nun wieder nicht. [13]
Mehr braucht man über persönliche »Erlebnisse« mit Göttern oder anderen religiösen Phänomenen nicht zu sagen. Wer ein solches Erlebnis hatte, glaubt unter Umständen hinterher fest daran, dass es sich wirklich abgespielt hat. Aber man sollte nicht erwarten, dass auch wir anderen es für bare Münze nehmen, insbesondere wenn wir auch nur die geringsten Kenntnisse über das Gehirn und seine große Leistungsfähigkeit besitzen.
Das Argument der Heiligen Schrift
Auch heute gibt es noch Menschen, die sich von Belegen in der Bibel überzeugen lassen und dann an Gott glauben. Ein häufig gebrauchtes Argument, das unter anderen auch C.S. Lewis (der es eigentlich besser wissen musste) zugeschrieben wird, lautet: Da Jesus behauptete, er sei der Sohn Gottes, muss er entweder recht gehabt haben, oder er war verrückt oder ein Lügner. »Verrückt, verlogen oder Gott.« Die historischen Belege, wonach Jesus tatsächlich einen göttlichen Status für sich in Anspruch nahm, sind äußerst dünn. Aber selbst wenn man sie als stichhaltig bezeichnen könnte, sind die drei angebotenen Möglichkeiten schrecklich unzureichend. Eine vierte liegt eigentlich so auf der Hand, dass man sie kaum zu erwähnen braucht: Jesus war ehrlich, hatte aber unrecht. Das geht vielen Menschen so. Doch wie gesagt, es gibt ohnehin keine echten historischen Belege, dass er sich überhaupt für ein göttliches Wesen hielt.
Die Tatsache, dass etwas schwarz auf weiß geschrieben steht, überzeugt vor allem Menschen, die an kritische Fragen nicht gewöhnt sind: »Von wem und wann wurde es geschrieben?«
»Woher wussten sie, was sie schreiben sollten?«
»Haben sie zu ihrer Zeit wirklich das gemeint, was wir in unserer Zeit herauslesen?«
»Waren sie unparteiische Beobachter, oder hatten sie bestimmte Ziele, die ihre Schriften beeinflussten?« Seit dem 19. Jahrhundert haben Theologen überwältigende Belege dafür, dass die Evangelien keine zuverlässigen Berichte über die wirklichen historischen Ereignisse darstellen. Alle wurden erst lange nach dem Tod Jesu verfasst, und sie entstanden auch erst nach den Briefen des Apostels Paulus, in denen so gut wie nichts über die angeblichen Tatsachen aus dem Leben Jesu steht. Alle Texte wurden später über viele Generationen der »stillen Post« hinweg immer wieder abgeschrieben (siehe Kapitel 5), und die Schreiber arbeiteten erstens nicht fehlerfrei und hatten zweitens ohnehin ihre eigenen religiösen Ziele.
Ein gutes Beispiel, wie der Text durch religiöse Einstellungen gefärbt wurde, ist der rührende Bericht über die Geburt Jesu in Bethlehem und das nachfolgende Blutbad des Herodes an den unschuldigen Kindern. Als die Evangelien viele Jahre später verfasst wurden, wusste niemand genau, wann Jesus geboren worden war. Aber aufgrund einer Prophezeiung im Alten Testament (Micha 5,2) rechneten die Juden damit, dass der lange erwartete Messias in Bethlehem zur Welt kommen werde. Angesichts dieser Prophezeiung merkt das Johannesevangelium (7,41–42) ausdrücklich an, Jesu Anhänger hätten sich gewundert, dass er nicht in Bethlehem geboren wurde: »Andere sprachen: Er ist der Christus. Wieder andere sprachen: Soll der Christus aus Galiläa kommen? Sagt nicht die Schrift: aus
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