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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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buchstäbliche Wahrheit enthält, niemals auf? Warum bemerken sie die offenkundigen Widersprüche nicht? Sollte jemand, der die Bibel wörtlich nimmt, sich nicht darüber beunruhigen, dass Matthäus die Abstammung des Joseph von König David über 28 Zwischengenerationen zurückverfolgt, während es bei Lukas 41 Generationen sind? Und was noch schlimmer ist: Bei den Namen in den beiden Listen gibt es so gut wie keine Übereinstimmungen! Und wenn Jesus von einer Jungfrau zur Welt gebracht wurde, sind Josephs Vorfahren ohnehin bedeutungslos, und man kann sie nicht dazu benutzen, im Sinne Jesu die alttestamentarische Prophezeiung zu erfüllen, wonach der Messias von David abstammt.
    Der amerikanische Bibelforscher Bart Ehrman erläutert in Whose Word Is It? (»Wessen Wort?«), welch gewaltige Unsicherheiten die Texte des Neuen Testaments vernebeln. [14] In der Einleitung des Buches berichtet Professor Ehrman auf bewegende Weise über seine eigene persönliche Entwicklung vom bibelgläubigen Fundamentalisten zum nachdenklichen Skeptiker. Eine wichtige Triebkraft auf diesem Weg war für ihn die wachsende Erkenntnis, wie unglaublich fehlerhaft die heiligen Schriften sind. Was dabei interessant ist: Als er in der Hierarchie der amerikanischen Universitäten aufstieg – von der untersten Stufe am »Moody Bible Institute« über das Wheaton College (das auf der Skala ein wenig höher steht, aber auch die Alma mater von Billy Graham war) bis zum Princeton Theological Seminary –, wurde er jedes Mal gewarnt, es werde schwierig für ihn werden, angesichts des gefährlichen Fortschrittsglaubens seinen christlichen Fundamentalismus aufrechtzuerhalten. Die Prophezeiung bestätigte sich, und wir, seine Leser, sind die Nutznießer. Weitere erfrischend umstürzlerische, bibelkritische Bücher sind das bereits erwähnte Die Geheimnisse der Bibel richtig entschlüsselt von Robin Lane Fox und The Secular Bible: Why Nonbelievers Must Take Religion Seriously von Jacques Berlinerblau (»Die weltliche Bibel: Warum Ungläubige Religion ernst nehmen müssen«).
    Die vier Evangelien, die in den offiziellen Kanon gelangten, wurden mehr oder weniger willkürlich aus einer größeren Zahl ausgewählt. Ursprünglich war es mindestens ein Dutzend, darunter das Thomas-, Petrus-, Nikodemus-, Philipp-, Bartholomäus- und Maria-Magdalena-Evangelium. 54 Diese zusätzlichen Evangelien meinte Thomas Jefferson, als er in seinem schon zitierten Brief an seinen Neffen schrieb:

    Als ich vom Neuen Testament sprach, vergaß ich zu erwähnen, dass Du alle Christushistorien lesen solltest, also sowohl jene, bei denen ein Rat von Kirchenleuten für uns entschieden hat, dass ihre Autoren Pseudoevangelisten seien, als auch die, die sie als Evangelisten bezeichnen. Denn diese Pseudoevangelisten geben ebenso Anlass zu Inspiration wie die anderen, und du solltest ihre Berichte mit deinem eigenen Verstand beurteilen, nicht mit dem dieser Kirchenleute.

    Die Evangelien, die den Sprung nicht schafften, wurden von den Kirchenleuten vielleicht deshalb weggelassen, weil die in ihnen enthaltenen Geschichten noch unplausibler und damit peinlicher waren als die in den vier kanonischen Berichten. Im Kindheitsevangelium nach Thomas etwa gibt es zahlreiche Anekdoten darüber, wie Jesus als Kind seine magischen Fähigkeiten nach Art einer boshaften Fee missbrauchte: Er verwandelte seine Spielkameraden spitzbübisch in Ziegen, machte Schlamm zu Spatzen oder ging seinem Vater bei der Zimmermannsarbeit zur Hand, indem er ein Stück Holz auf wundersame Weise verlängerte. [15] Natürlich wird behauptet, so grobschlächtige Wundergeschichten wie die im Kindheitsevangelium nach Thomas werde ohnehin niemand glauben. Aber es besteht auch nicht mehr und nicht weniger Anlass, den vier kanonischen Evangelien Glauben zu schenken. Bei allen handelt es sich um Legenden, und als Tatsachenberichte sind sie ebenso zweifelhaft wie die Geschichten über König Artus und die Ritter der Tafelrunde.
    Die meisten Gemeinsamkeiten der vier kanonischen Evangelien gehen auf eine gemeinsame Quelle zurück, entweder auf das Markusevangelium oder auf ein verlorenes Werk, dessen ältester noch vorhandener Nachkomme das Markusevangelium ist. Wer die vier Evangelisten waren, weiß niemand, aber mit ziemlicher Sicherheit sind sie nie persönlich mit Jesus zusammengetroffen. Ihre Schriften waren zum größten Teil keineswegs ein ehrlicher Versuch, Geschichte zu schreiben, sondern es waren aufgewärmte Inhalte aus

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