Der Gotteswahn
formulierte, darum handele ich sie ebenso scherzhaft ab. Aber mir sind – unter anderem in der Fragestunde nach meinen Vorträgen – schon Menschen begegnet, die Pascals Wette ganz ernsthaft als Argument für den Glauben an Gott anführten, und deshalb war es richtig, dass ich mich hier kurz damit beschäftigt habe.
Und schließlich: Ist es möglich, eine Art umgekehrte Pascal-Wette zu vertreten? Gehen wir einmal davon aus, dass es tatsächlich eine geringe Wahrscheinlichkeit für die Existenz Gottes gibt. Dennoch könnte man sagen: Ich kann ein besseres, erfüllteres Leben führen, wenn ich annehme, dass es ihn nicht gibt, sodass ich meine kostbare Zeit nicht damit vergeude, ihn anzubeten, ihm Opfer zu bringen, für ihn zu kämpfen und zu sterben, usw. Ich möchte diese Frage hier nicht weiter verfolgen, aber man sollte sie im Hinterkopf haben, wenn wir uns in späteren Kapiteln mit den bösen Folgen beschäftigen, die aus religiösem Glauben und Gehorsam erwachsen können.
Bayes’sche Argumente
Das seltsamste Argument für die Existenz Gottes, das mir untergekommen ist, vertritt Stephen Unwin in seinem Buch The Probability of God (Die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes). Ich habe gezögert, seinen Gedankengang hier überhaupt zur Sprache zu bringen, denn er ist weniger stichhaltig und auch weniger durch ein hohes Alter geheiligt als andere. Aber Unwins Buch erregte 2003 bei seinem Erscheinen in der Presse beträchtliche Aufmerksamkeit und bietet tatsächlich die Gelegenheit, verschiedene Erklärungsstränge zusammenzuführen. Ich empfinde für seine Ziele eine gewisse Sympathie, weil die Frage nach der Existenz Gottes, wie ich in Kapitel 2 erläutert habe, in meinen Augen als wissenschaftliche Hypothese der Untersuchung zumindest prinzipiell zugänglich ist. Überdies ist Unwins verschrobener Versuch, der Wahrscheinlichkeit einen Zahlenwert zuzuordnen, eindeutig vergnüglich.
Der Untertitel Mit einer einfachen Formel auf der Spur der letzten Wahrheit sieht ganz so aus, als habe der Verlag ihn in letzter Minute hinzugefügt, denn aus Unwins Text spricht durchaus keine sichere Erkenntnis. Besser betrachtet man das Buch als Bedienungsanleitung, als Bayes-Theorem für Dummies , wobei die Existenz Gottes als halb scherzhafte Fallstudie dient. Ebenso gut hätte Unwin das Bayes’sche Theorem mithilfe eines Mordfalles im Spiel Cluedo beweisen können. Der Kommissar nennt die Indizien. Die Fingerabdrücke auf der Pistole weisen auf Mrs. Peacock hin. Zur quantitativen Erfassung des Verdachts wird der Dame ein Zahlenwert zugeordnet. Aber Professor Plum hat ein Motiv, ihr etwas anzuhängen. Vermindern wir also den Verdacht gegen Mrs. Peacock um den entsprechenden Zahlenwert. Die kriminaltechnische Untersuchung ergibt, dass der Revolver mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent zielgenau aus großer Entfernung abgefeuert wurde, was für einen Täter mit militärischer Ausbildung spricht. Also fassen wir unseren wachsenden Verdacht gegen Colonel Mustard in Zahlen. Das plausibelste Mordmotiv hat indes Reverend Green. [18] Also setzen wir seine Wahrscheinlichkeit mit einem höheren Zahlenwert an. Andererseits kann das lange blonde Haar auf der Jacke des Opfers nur von Miss Scarlet stammen, und so weiter. Dem Kommissar geht eine Mischung mehr oder weniger subjektiv abgeschätzter Wahrscheinlichkeiten durch den Kopf, die seine Gedanken in unterschiedliche Richtungen lenken. Das Bayes-Theorem soll ihm helfen, zu einer Lösung zu gelangen.
Es handelt sich um ein mathematisches Verfahren, bei dem man viele verschiedene Wahrscheinlichkeiten in Betracht ziehen und am Ende zu einem abschließenden Urteil gelangen kann, das eine eigene quantitative Wahrscheinlichkeitsabschätzung in sich trägt. Natürlich kann diese letzte Schätzung aber nur so gut sein wie die Zahlen, die ursprünglich in sie eingeflossen sind. Diese entspringen in der Regel subjektiven Eindrücken mit allen Zweifeln, die sich daraus meist ergeben. Hier gilt demnach das Müll-rein-Müll-raus-Prinzip (Wer Müll reintut, bekommt auch Müll wieder heraus) – zumal bei Unwins Beispiel, den Argumenten für Gottes Existenz.
Unwin ist Berater für Risikomanagement und ein Bannerträger des Bayes’schen Wahrscheinlichkeitsbegriffs gegenüber statistischen Konkurrenzverfahren. Um das Bayes-Theorem zu verdeutlichen, unterstellt er keinen Mord, sondern den größten Fall von allen: die Existenz Gottes. Er geht dabei von völliger Unsicherheit aus und
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