Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
entschließt sich, diese mit einer Anfangswahrscheinlichkeit von jeweils 50 Prozent für die Existenz und Nichtexistenz Gottes zu quantifizieren. Dann führt er sechs Tatsachen auf, die für diese Frage eine Rolle spielen könnten, versieht jede mit einer zahlenmäßigen Gewichtung, füttert die Zahlen in die mathematische Maschine des Bayes-Theorems und sieht nach, was herauskommt. Die Schwierigkeit besteht (wie bereits erwähnt) darin, dass es sich bei den sechs Gewichtungen nicht um Messwerte handelt, sondern um Unwins persönliche Beurteilungen, die er für diese mathematische Übung in Zahlen gekleidet hat. Die sechs Tatsachen sind folgende:

    1.     Wir haben ein Gespür dafür, was gut ist.
    2.     Menschen tun Böses (Hitler, Stalin, Saddam Hussein).
    3.     Die Natur tut Böses (Erdbeben, Tsunamis, Hurrikane).
    4.     Es könnte kleinere Wunder geben (ich habe meinen Schlüsselbund verloren und später wiedergefunden).
    5.     Es könnte größere Wunder geben (Jesus könnte von den Toten auferstanden sein).
    6.     Die Menschen haben religiöse Erlebnisse.

    Was die Aussage auch wert sein mag (in meinen Augen nichts): Im Bayes’schen Wettrennen geht Gott anfangs in Führung, dann fällt er weit zurück, rettet sich wieder über die 50-Prozent-Linie, von der er ausgegangen war, und am Ende kann er sich darüber freuen, dass er nach Unwins Schätzung mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent existiert.
    Unwin gelangt zu dem Schluss, dass das Bayes’sche Urteil von 67 Prozent nicht gut genug ist, und unternimmt einen bizarren Schritt: Er hilft mit einer Notfallinjektion namens »Glauben« nach und treibt die Wahrscheinlichkeit damit auf 95 Prozent in die Höhe. Es hört sich nach einem Witz an, aber so geht er tatsächlich vor. Ich wüsste gern, wie er es rechtfertigt, aber dazu hat er wirklich nichts zu sagen. Ähnliche Absurditäten sind mir auch an anderen Stellen begegnet, wenn ich mich bei religiösen, ansonsten aber intelligenten Wissenschaftlern nach einer Rechtfertigung für ihren Glauben erkundigte, nachdem sie eingeräumt hatten, dass es keine Belege gebe: »Ich gebe zu, man kann es nicht beweisen. Es hat seinen Grund , dass man es Glauben nennt.« (Der letzte Satz wird mit beinahe gehässiger Überzeugung geäußert, wobei nichts auf eine Entschuldigung oder Abwehrhaltung hindeutet.)
    Erstaunlicherweise enthält Unwins Liste der sechs Aussagen weder das Gestaltungsargument noch Thomas von Aquins fünf »Beweise« und auch keines der ontologischen Argumente. Damit gibt sich Unwin nicht ab; sie tragen zu seiner zahlenmäßigen Abschätzung der Wahrscheinlichkeit Gottes nicht das Geringste bei. Er erörtert sie und tut sie – guter Statistiker, der er ist – als inhaltsleer ab. Das muss man ihm nach meiner Überzeugung zugute halten, auch wenn er das Gestaltungsargument aus anderen Gründen verwirft als ich. Aber die Argumente, die er durch seinen Bayes’schen Filter schlüpfen lässt, sind in meinen Augen ebenso schwach. Damit will ich nur sagen, dass ich ihnen andere subjektive Wahrscheinlichkeitsgewichtungen zuordnen würde als er, doch wen interessieren solche subjektiven Einschätzungen überhaupt? In seinen Augen wiegt die Tatsache, dass wir ein Gespür für Richtig und Falsch haben, schwer zugunsten der Existenz Gottes, ich dagegen kann nicht erkennen, dass die Wahrscheinlichkeit sich dadurch von der anfänglichen geringen Erwartung in die eine oder andere Richtung verschiebt. Wie ich in den Kapiteln 6 und 7 darlegen werde, lässt sich nicht plausibel vertreten, dass unser tatsächlich vorhandenes Gefühl für Richtig und Falsch in irgendeinem eindeutigen Zusammenhang mit der Existenz einer übernatürlichen Gottheit steht. Genau wie unsere Fähigkeit, ein Beethoven-Streichquartett zu schätzen, ist auch unser Gespür für das Gute (allerdings nicht unbedingt unsere Motivation, ihm zu folgen) mit Gott und ohne Gott genau das gleiche.
    Andererseits meint Unwin, böse Dinge und insbesondere Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunamis sprächen stark gegen die Wahrscheinlichkeit, dass es Gott gibt. Hier ist Unwins Urteil dem meinen genau entgegengesetzt, aber er befindet sich damit im Einklang mit den unbehaglichen Gefühlen vieler Theologen. Die »Theodizee« (das heißt die Rechtfertigung der göttlichen Vorsehung angesichts des offenkundig vorhandenen Bösen) hat den Theologen schon immer schlaflose Nächte bereitet. Der maßgebliche Oxford Companion to Philosophy

Weitere Kostenlose Bücher