Der Gotteswahn
einen Gott?) dar. Zunächst zeigt er, dass er das Herz am rechten Fleck hat: Er weist überzeugend nach, warum wir uns immer für die einfachste Hypothese entscheiden sollten, die zu den Tatsachen passt. Die Naturwissenschaft erklärt komplexe Dinge mit den Wechselbeziehungen zwischen einfacheren Dingen, letztlich also mit den Interaktionen der Elementarteilchen. Ich (und ich wage zu sagen: auch jeder andere) halte es für einen großartig einfachen Gedanken, dass alle Dinge aus Grundbausteinen bestehen, die zwar äußerst zahlreich sind, aber alle zu einer kleinen, endlichen Gruppe von Teilchentypen gehören. Wenn wir skeptisch sind, dann wahrscheinlich deshalb, weil wir diese Idee für zu einfach halten. Aber für Swinburne ist sie überhaupt nicht einfach – ganz im Gegenteil.
Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Teilchen eines Typs – beispielsweise der Elektronen – so groß ist, kann es nach Swinburnes Ansicht kein Zufall sein, dass so viele von ihnen die gleichen Eigenschaften haben. Ein Elektron, das könnte er noch verkraften. Aber Milliarden und Abermilliarden Elektronen, alle mit den gleichen Eigenschaften , das erregt sein ungläubiges Kopfschütteln. Für ihn wäre es einfacher, natürlicher, weniger erklärungsbedürftig, wenn alle Elektronen sich voneinander unterscheiden würden. Und was noch schlimmer ist: In seinen Augen dürfte eigentlich kein Elektron seine Eigenschaften länger als einen kurzen Augenblick beibehalten; jedes Teilchen sollte sich von einem Augenblick zum nächsten launisch, zufällig und flüchtig verändern. So sieht nach Swinburnes Ansicht der einfache, ursprüngliche Stand der Dinge aus. Alles, was einheitlicher (Sie oder ich würden sagen: einfacher) ist, verlangt nach einer besonderen Erklärung: »Die Dinge sind nur deshalb jetzt so, wie sie sind, weil Elektronen und Kupferstücke und alle anderen materiellen Gegenstände im 21. Jahrhundert die gleichen Kräfte wie im 19. Jahrhundert haben.«
An dieser Stelle kommt Gott ins Spiel. Gott bringt die Rettung, weil er die Eigenschaften der Abermilliarden Elektronen und Kupferstücke absichtlich und ständig aufrechterhält, womit er die Neigung zu wilden, zufälligen Schwankungen, die ihnen eigentlich innewohnt, unwirksam macht. Deshalb wissen wir über alle Elektronen Bescheid, wenn wir eines gesehen haben; deshalb verhalten sich Kupferstücke immer wie Kupferstücke, und jedes Elektron und jedes Kupferstück bleibt von Mikrosekunde zu Mikrosekunde wie auch von Jahrhundert zu Jahrhundert gleich. Es liegt nur daran, dass Gott ständig seine Finger auf jedes einzelne Teilchen hält, dessen freche Unbotmäßigkeiten in die Schranken weist und es mit seinen Kollegen in eine Reihe zwingt, sodass sie alle immer gleich sind.
Aber wie kann Swinburne behaupten, diese Hypothese, der zufolge Gott seine Quadrillionen Finger auf unzählige Elektronen hält, sei einfach ? Sie ist natürlich genau das Gegenteil von einfach. Swinburne bewerkstelligt das Kunststück zu seiner eigenen Zufriedenheit mit einem atemberaubenden Akt der intellektuellen Unverfrorenheit. Er behauptet ohne jede Begründung, Gott sei nur eine einzige Substanz. Welch hervorragend sparsame Ursachenerklärung im Vergleich zu dem Gedanken, die unzähligen unabhängigen Elektronen seien rein zufällig alle gleich!.
Der Theismus behauptet, dass jeder existierende Gegenstand durch eine Substanz in seiner Existenz verursacht und erhalten wird, nämlich Gott. Und er behauptet, dass jede Eigenschaft eines jeden Gegenstandes von Gott verursacht oder zugelassen wird. Es ist ein Merkmal einer einfachen Erklärung, nur wenige Ursachen anzunehmen. In dieser Hinsicht kann es keine einfachere Erklärung geben als eine, die nur eine Ursache postuliert. Der Theismus ist einfacher als der Polytheismus. Ferner nimmt der Theismus an, dass diese eine Ursache die Eigenschaften, die für Personen wesentlich sind, in unendlichem Maße hat: unendliche Macht (Gott kann alles logisch Mögliche tun), unendliches Wissen (Gott weiß alles, was zu wissen logisch möglich ist) und unendliche Freiheit. 75
Großzügig gesteht Swinburne zu, dass Gott keine Werke vollbringen kann, die logisch unmöglich sind, und man ist ihm für diese Nachsicht geradezu dankbar. Aber davon abgesehen gibt es für die Erklärungen, für die man Gottes unendliche Macht heranziehen kann, keine Grenzen. Die Wissenschaft hat gewisse Schwierigkeiten, X zu erklären? Kein Problem. Man sollte X keines Blickes mehr
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