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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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als Einziger letztlich in der Lage ist, Komplexität aus Einfachem entstehen zu lassen. Die Theorie der natürlichen Selektion ist wirklich einfach. Ebenso einfach ist ihr Ausgangspunkt. Was sie andererseits erklärt, ist über alle Maßen komplex – komplexer als alles, was wir uns vorstellen können, aber immer noch nicht so komplex wie ein Gott, der in der Lage sein soll, diese Komplexität zu gestalten.

Zwischenspiel in Cambridge

    Kürzlich vertrat ich in Cambridge auf einer Tagung über Naturwissenschaft und Religion die Argumentation, die ich hier unter der Überschrift »Die höchste Form der Boeing 747« wiedergegeben habe. Dabei stieß ich, gelinde gesagt, auf aufrichtige Unfähigkeit, in der Frage nach Gottes Einfachheit eine gemeinsame geistige Grundlage herzustellen. Es war ein aufschlussreiches Erlebnis, und deshalb möchte ich gern darüber berichten.
    Zunächst sollte ich beichten (das ist vermutlich das richtige Wort), dass die Tagung von der Templeton Foundation finanziert wurde. Das Publikum bestand aus einer geringen Zahl handverlesener Wissenschaftsjournalisten aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Unter den achtzehn eingeladenen Vortragenden war ich der Vorzeigeatheist. Nach Angaben des Journalisten John Horgan hatte jeder Zuhörer zusätzlich zu allen Spesen die hübsche Summe von 15000 Dollar erhalten, damit er an der Konferenz teilnahm. Darüber wunderte ich mich. Aus meiner langjährigen Erfahrung mit wissenschaftlichen Konferenzen war mir kein Fall bekannt, in dem das Publikum (im Gegensatz zu den Vortragenden) ein Honorar für die Teilnahme bekam. Hätte ich das gewusst, wäre ich sofort misstrauisch geworden. Wollte Templeton mit dem Geld die Journalisten bestechen und ihre wissenschaftliche Integrität untergraben? John Horgan stellte später die gleiche Frage und schrieb über die ganze Veranstaltung einen Artikel. Darin enthüllte er etwas, das ich sehr bedauerte. Die Ankündigung, dass ich einen Vortrag halten würde, hatte bei ihm und anderen die Zweifel zerstreut:

    Der britische Biologe Richard Dawkins, dessen Teilnahme an der Tagung mich und andere von ihrer Seriosität überzeugte, war unter allen Vortragenden der Einzige, der religiöse Überzeugungen als mit der Naturwissenschaft unvereinbar, irrational und schädlich bezeichnete. Die anderen Redner – drei Agnostiker, ein Jude, ein Deist und zwölf Christen (ein muslimischer Philosoph hatte in letzter Minute abgesagt) – vertraten eine offenkundig einseitige Sichtweise zugunsten von Religion und Christentum. 78

    Horgans Artikel selbst ist von liebenswürdiger Zweideutigkeit. Trotz seiner Befürchtungen wusste er manche Aspekte der Veranstaltung durchaus zu schätzen (und mir ging es, wie im Folgenden noch deutlich werden wird, genauso). Horgan schrieb:

    Meine Gespräche mit den Gläubigen vertieften mein Verständnis dafür, warum manche intelligenten, gebildeten Menschen sich eine Religion zu eigen machen. Ein Vortragender berichtete über das Erlebnis des Zungenredens, ein anderer beschrieb seine intime Beziehung zu Jesus. Meine Überzeugungen änderten sich nicht, aber bei anderen war das der Fall. Mindestens ein Kollege sagte, sein Glaube sei durch Dawkins’ Analyse der Religion ins Wanken geraten. Wenn die Templeton Foundation dazu beiträgt, dass auch nur ein derart winziger Schritt in Richtung meiner Vision von einer Welt ohne Religion vollzogen wird – kann sie dann wirklich schlecht sein?

    Ein zweites Forum für Horgans Artikel schuf der Literaturagent John Brockman auf seiner Website »Edge« (die häufig als wissenschaftlicher Online-Salon bezeichnet wird). Dort gab der Beitrag Anlass zu mehreren Erwiderungen, darunter auch eine von dem theoretischen Physiker Freeman Dyson. Als Antwort auf Dyson zitierte ich aus seinem Preisvortrag anlässlich der Verleihung des Templeton-Preises. (Ob es ihm gefiel oder nicht, indem er diese Auszeichnung annahm, vermittelte Dyson der ganzen Welt ein eindringliches Signal. Man musste es so verstehen, als hätte sich einer der angesehensten Physiker der Welt für die Religion ausgesprochen.) In Dysons Preisvortrag heißt es:

    Ich gebe mich damit zufrieden, zu den vielen Christen zu gehören, die sich nicht viel um die Lehre von der Dreifaltigkeit oder um den historischen Wahrheitsgehalt der Evangelien scheren.

    Würde nicht ein atheistischer Naturwissenschaftler genau das sagen, wenn er sich christlich anhören wollte? Ich zitierte noch weitere Passagen aus

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