Der Gotteswahn
würdigen. Wir berufen uns einfach auf Gottes unendliche Macht und erklären X (genau wie alles andere) ganz mühelos; das ist immer eine höchst einfache Erklärung, denn schließlich gibt es ja nur einen Gott. Was könnte einfacher sein?
Nun ja, in Wirklichkeit fast alles. Ein Gott, der ständig den Zustand jedes einzelnen Teilchens im Universum überwacht und kontrolliert, kann nicht einfach sein. Seine Existenz erfordert schon als solche eine ungeheuer umfangreiche Erklärung. Und was unter dem Gesichtspunkt der Einfachheit noch schlimmer ist: Andere Winkel von Gottes Bewusstsein werden durch die Taten, Gefühle und Gebete jedes einzelnen Menschen mit Beschlag belegt – und vielleicht auch von den intelligenten Wesen auf anderen Planeten in unserer und 100 Milliarden anderen Galaxien. Nach Swinburnes Ansicht muss er sich überdies sogar ständig zurückhalten, um nicht einzugreifen und uns durch ein Wunder zu retten, wenn wir Krebs bekommen. Das ginge einfach nicht, denn »wenn Gott die meisten der Gebete um Heilung eines Verwandten von Krebs beantworten würde, dann wäre Krebs nicht länger ein Problem, für welches die Menschen eine Lösung suchen«. 76 Ja, was sollten wir dann bloß mit unserer Zeit anfangen?
So weit wie Swinburne gehen nicht alle Theologen. Die bemerkenswerte Vorstellung, die Gotteshypothese sei einfach , findet sich allerdings auch in anderen modernen theologischen Schriften. Sehr entschieden äußerte sich beispielsweise Keith Ward, damals Regius Professor of Divinity in Oxford, in seinem 1996 erschienenen Buch God , Chance and Necessity (»Gott, Zufall und Notwendigkeit«):
Der Theist würde natürlich behaupten, dass Gott eine sehr elegante, sparsame und fruchtbare Erklärung für die Existenz des Universums darstellt. Sparsam ist sie, weil sie Dasein und Natur von absolut allem im Universum auf ein einziges Wesen zurückführt, auf eine letzte Ursache, die den Grund für die Existenz von allem darstellt, einschließlich ihrer selbst. Elegant ist sie, weil sie aus einem Schlüsselgedanken heraus – der Vorstellung von dem vollkommensten Wesen, das möglich ist – das Wesen Gottes und die Existenz des Universums auf verständliche Weise erklären kann.
Doch wie Swinburne hat auch Ward eine falsche Vorstellung davon, was es heißt, etwas zu erklären; und ebenso versteht er anscheinend nicht, was es bedeutet, wenn man etwas als einfach bezeichnet. Mir ist nicht klar, ob Ward wirklich der Ansicht ist, Gott sei einfach, oder ob der zitierte Absatz nur eine vorübergehende Übung »um der Argumentation willen« darstellt. Sir John Polkinghorne zitiert in Science and Christian Belief (»Naturwissenschaft und christlicher Glaube«) Wards frühere Kritik an den Gedanken des Thomas von Aquin: »Ihr grundlegender Fehler ist die Annahme, Gott sei logisch einfach – ›einfach‹ nicht nur in dem Sinn, dass sein Dasein unteilbar ist, sondern auch in dem viel stärkeren Sinn, dass alles, was für irgendeinen Teil Gottes gilt, auch für Gott als Ganzes wahr ist. Es ist aber eine widerspruchsfreie Annahme, dass Gott zwar unteilbar, gleichzeitig aber auch innerlich komplex ist.« An dieser Stelle hat Ward recht. Der Biologe Julian Huxley definierte Komplexität 1912 sogar als »Heterogenität der Teile«, womit er eine ganz bestimmte Art der funktionellen Unteilbarkeit meinte. 77
An anderer Stelle lässt Ward erkennen, wie schwer es dem theologischen Geist fällt, zu begreifen, wie es zur Komplexität des Lebendigen kommt. Er zitiert den Biochemiker Arthur Peacocke, einen weiteren Theologen und Naturwissenschaftler (den dritten in meinem Trio der religiösen britischen Naturwissenschaftler), mit der Behauptung, lebende Materie habe eine »Neigung zu zunehmender Komplexität«. Ward versteht darunter »eine gewisse Gewichtung des entwicklungsgeschichtlichen Wandels, welche die Komplexität begünstigt«. Im weiteren Verlauf äußert er die Vermutung, ein solches Ungleichgewicht könne »eine Gewichtung des Mutationsprozesses sein, die dafür sorgt, dass immer komplexere Mutationen entstehen«. Ward ist gegenüber dieser Vermutung skeptisch, und das sollten auch wir sein. Der Evolutionstrend in Richtung zunehmender Komplexität erwächst in den Abstammungslinien, in denen er überhaupt vorhanden ist, weder aus einer inneren Neigung zur Komplexität noch aus einem Ungleichgewicht der Mutationen. Seine Triebkraft ist vielmehr die natürliche Selektion, jener Prozess, der nach heutiger Kenntnis
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