Der Gotteswahn
gearteten außerweltlichen Revier, das sein gewöhnlicher Aufenthaltsort ist, in unsere Welt, wo seine Mitteilungen von menschlichen Gehirnen aufgenommen werden können – und dieses Phänomen soll nichts mit Wissenschaft zu tun haben? Und zweitens: Ein Gott, der an Millionen Menschen zur gleichen Zeit verständliche Signale sendet und von allen gleichzeitig Signale empfängt, kann bei allen Eigenschaften, die er sonst noch besitzt, nicht einfach sein. Was für eine Bandbreite! Gott hat vielleicht weder ein Gehirn aus Nervenzellen noch einen Prozessor aus Silizium, aber wenn er über die Fähigkeiten verfügt, die ihm zugeschrieben werden, muss er etwas weitaus Raffinierteres und nicht zufällig Konstruiertes besitzen als das größte Gehirn oder die größten Computer, die wir kennen.
Immer und immer wieder kamen meine theologischen Freunde auf den Punkt zurück, dass es einen Grund haben müsse, warum es etwas und nicht nichts gibt. Alles müsse eine erste Ursache haben, und die könnten wir genauso gut als Gott bezeichnen. Ja, erwiderte ich, aber diese Ursache muss einfach sein, und wie wir sie auch nennen, Gott ist dafür kein angemessener Name (es sei denn, wir befreien ihn ganz bewusst von dem ganzen Ballast, den das Wort »Gott« in den Köpfen der meisten Gläubigen mit sich herumschleppt). Die erste Ursache, nach der wir suchen, muss das einfache Fundament für eine »Kran-Konstruktion« sein, die sich selbst aufbaut und schließlich jene Welt errichtet, die wir mit ihrer heutigen komplexen Existenz kennen. Die Vorstellung, der ursprüngliche erste Beweger sei so kompliziert gewesen, dass er intelligente Gestaltung vollbringen konnte – ganz zu schweigen vom gleichzeitigen Gedankenlesen bei Millionen Menschen –, ist gleichbedeutend mit der Idee, man würde sich selbst beim Bridge ein perfektes Blatt geben.
Sehen wir uns um in der Welt des Lebendigen, im Amazonasregenwald mit seinem Gewirr aus Lianen, Bromelien, Luft- und Brettwurzeln, mit seinen Heerscharen von Ameisen, mit Jaguaren, Pekaris, Baumfröschen und Papageien. Was wir dort sehen, ist die statistische Entsprechung zu einem perfekten Blatt beim Kartenspiel (man denke nur daran, auf wie viele Arten man die Einzelteile austauschen könnte, und nichts davon würde funktionieren), aber hier wissen wir, wie sie zustande gekommen ist: durch den langsam arbeitenden Kran der natürlichen Selektion. Nicht nur Wissenschaftler protestieren gegen die stillschweigende Annahme, etwas so Unwahrscheinliches könne von selbst entstanden sein; auch der gesunde Menschenverstand stellt sich quer. Mit der Vorstellung, die erste Ursache, der große Unbekannte, der dafür gesorgt hat, dass es etwas statt nichts gibt, könne das Universum gezielt gestalten und zu Millionen Menschen gleichzeitig sprechen, entzieht man sich völlig der Verantwortung, eine Erklärung zu finden. Es ist die entsetzliche Zurschaustellung einer selbstzufriedenen, das Denken leugnenden Wundergläubigkeit.
Ich vertrete hier keine engstirnig-naturwissenschaftliche Denkweise. Aber wer ehrlich nach der Wahrheit sucht, muss sich zumindest daranmachen, so ungeheuer unwahrscheinliche Phänomene wie einen Regenwald oder ein Korallenriff mit einem Kran und nicht mit einem Himmelshaken zu erklären. Bei dem Kran muss es sich nicht unbedingt um die natürliche Selektion handeln. Zwar ist bisher noch niemand auf einen besseren gestoßen, aber es könnte andere geben, die noch nicht entdeckt worden sind. Vielleicht erweist sich die »Inflation«, die in der Physik für den ersten winzigen Sekundenbruchteil im Dasein des Universums postuliert wird, bei genauerer Untersuchung als kosmologischer Kran, der neben Darwins biologischem Kran bestehen kann. Vielleicht handelt es sich bei dem schwer fassbaren Kran, nach dem die Kosmologen suchen, aber auch um eine weitere Version von Darwins Idee – um Smolins Modell oder etwas Ähnliches. Vielleicht ist es auch das Multiversum in Verbindung mit dem anthropischen Prinzip, wie Martin Rees und andere es annehmen. Es könnte sogar ein übermenschlicher Gestalter sein – aber wenn es so ist, wird es mit ziemlicher Sicherheit kein Gestalter sein, der plötzlich ins Dasein trat oder schon immer da war. Wenn unser Universum gezielt gestaltet wurde (was ich keine Sekunde lang glaube), und wenn der Gestalter darüber hinaus auch unsere Gedanken liest und allwissende Ratschläge, Vergebung und Erlösung verteilt, muss dieser Gestalter selbst das Endprodukt einer
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