Der Gotteswahn
additiven Leiter oder eines Krans sein, vielleicht das Produkt einer Version des Darwinismus aus einem anderen Universum.
Als meinen Kritikern in Cambridge keine andere Verteidigung mehr einfiel, gingen sie zum Angriff über. Meine ganze Weltanschauung wurde als »neunzehntes Jahrhundert« verurteilt. Das ist ein so schlechtes Argument, dass ich es eigentlich gar nicht erwähnen wollte, aber leider begegnet es mir recht häufig. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden: Wer ein Argument als »neunzehntes Jahrhundert« bezeichnet, hat damit noch nicht erklärt, was falsch daran ist. Manche Gedanken aus dem 19. Jahrhundert, nicht zuletzt Darwins eigene gefährliche Idee, waren sehr gut. Jedenfalls wirkte gerade diese Beschimpfung besonders gewichtig, kam sie doch von jemandem (einem angesehenen Geologen aus Cambridge, der auf dem faustischen Weg zum Templeton-Preis sicher schon ein ganzes Stück vorangekommen war), der sich zur Rechtfertigung seines eigenen christlichen Glaubens auf die »Historizität des Neuen Testaments« berief, wie er es nannte. Gerade im 19. Jahrhundert, als man sich der Befunderhebungsmethoden der Geschichtsforschung bediente, kamen doch den Theologen, insbesondere in Deutschland, ernste Zweifel an dieser angeblichen Historizität. Darauf machten auch die auf der Tagung in Cambridge anwesenden Theologen eilig aufmerksam.
Jedenfalls kenne ich den Vorwurf »neunzehntes Jahrhundert« schon seit langem. Er kommt häufig zusammen mit dem Spott über den »Dorfatheisten« und dem Vorwurf »Im Gegensatz zu Ihren Vorstellungen, hahaha, glauben wir nicht mehr an einen alten Mann mit langem weißem Bart, hahaha.« Alle drei Witze sind der verschlüsselte Ausdruck von etwas anderem, genau wie »law and order«, das Ende der Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts, als ich in den Vereinigten Staaten lebte, der Politikerausdruck für Vorurteile gegen Schwarze war. [29]
Welche verschlüsselte Bedeutung hat demnach »Sie kommen aus dem 19. Jahrhundert« im Zusammenhang einer Diskussion über Religion? Im Klartext bedeutet es: »Sie sind so grob und ungeschlacht, wie können Sie so unsensibel und schlecht erzogen sein, mir eine direkte, zugespitzte Frage wie ›Glauben Sie an Wunder?‹ oder ›Glauben Sie, dass Jesus von einer Jungfrau zur Welt gebracht wurde?‹ zu stellen? Wissen Sie nicht, dass man solche Fragen in gepflegter Gesellschaft nicht stellt? Solche Fragen waren schon im 19. Jahrhundert aus der Mode.« Aber überlegen wir einmal, warum es unhöflich ist, religiösen Menschen heute eine solche Frage zu stellen. Es ist peinlich! Aber das Peinliche ist die Antwort, wenn sie Ja lautet.
Welche Verbindung dabei zum 19. Jahrhundert besteht, ist mir nicht ganz klar. Im 19. Jahrhundert war es für einen gebildeten Menschen zum letzten Mal möglich, an Wunder wie die Jungfrauengeburt zu glauben, ohne dass es peinlich gewesen wäre. Hakt man genauer nach, so sind viele Christen auch heute noch so loyal, dass sie Jungfrauengeburt und Auferstehung nicht leugnen wollen. Andererseits ist es ihnen aber peinlich, denn mit ihrem rationalen Verstand wissen sie, dass es absurd ist. Also wollen sie lieber nicht gefragt werden. Wenn dann jemand wie ich auf der Frage beharrt, wirft man mir vor, ich sei »aus dem 19. Jahrhundert«. Bei genauem Nachdenken ist das eigentlich ganz lustig.
Am Ende der Tagung war ich angeregt und energiegeladen, hatte sie mich doch in meiner Überzeugung bestärkt, dass das Unwahrscheinlichkeitsargument – das Spiel mit der »höchsten Form der Boeing 747« – sehr ernsthaft gegen die Existenz Gottes spricht. Trotz vieler Gelegenheiten und Aufforderungen habe ich darauf noch von keinem Theologen eine überzeugende Antwort bekommen. Dan Dennett bezeichnet dieses Argument zu Recht als »unwiderlegbare Zurückweisung, die heute noch genauso verheerend ist wie vor zweihundert Jahren, als in Humes Dialogen Philo sein Gegenüber Cleanthes damit überfuhr. Ein Himmelshaken wäre im besten Fall nur eine Verschiebung des Problems, aber Hume konnte sich keine Kräne vorstellen, also gab er klein bei.« 80 Erst Darwin lieferte den unentbehrlichen Kran, an dem Hume natürlich seine helle Freude gehabt hätte.
In diesem Kapitel habe ich die zentrale Argumentation meines Buches vorgetragen, und auch auf die Gefahr hin, dass das Ganze nach Wiederholung aussieht, möchte ich sie noch einmal in sechs nummerierten Punkten zusammenfassen:
1. Eine der größten Herausforderungen für den
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