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Der Gotteswahn

Der Gotteswahn

Titel: Der Gotteswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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menschlichen Geist war über viele Jahrhunderte hinweg die Frage, wie im Universum der komplexe, unwahrscheinliche Anschein von gezielter Gestaltung entstehen konnte.

    2. Es ist eine natürliche Versuchung, den Anschein von Gestaltung auf tatsächliche Gestaltung zurückzuführen. Bei Produkten der Menschen, beispielsweise einer Uhr, war der Gestalter tatsächlich ein intelligenter Ingenieur. Man ist leicht versucht, die gleiche Logik auch auf ein Auge oder einen Flügel, eine Spinne oder einen Menschen anzuwenden.

    3. Diese Versuchung führt in die Irre, denn die Gestalterhypothese wirft sofort die umfassendere Frage auf, wer den Gestalter gestaltet hat. Das Problem, von dem wir ausgegangen waren, betraf die Erklärung der statistischen Unwahrscheinlichkeit. Zu diesem Zweck etwas noch Unwahrscheinlicheres zu postulieren ist offenkundig keine Lösung. Wir brauchen keinen »Himmelshaken«, sondern eine »Kran-Konstruktion«, denn nur der Kran kann die Aufgabe erfüllen, von etwas Einfachem auszugehen und dann allmählich und auf plausible Weise eine ansonsten unwahrscheinliche Komplexität aufzubauen.

    4. Der genialste und leistungsfähigste »Kran«, den man bisher entdeckt hat, ist die darwinistische Evolution durch natürliche Selektion. Darwin und seine Nachfolger haben uns gezeigt, wie Lebewesen mit ihrer ungeheuren statistischen Unwahrscheinlichkeit und ihrer scheinbaren Gestaltung sich langsam und allmählich aus einfachen Anfängen heraus entwickelt haben. Heute können wir mit Sicherheit sagen, dass die Illusion der gezielten Gestaltung von Lebewesen genau das ist: eine Illusion.

    5. Einen entsprechenden »Kran« für die Physik kennen wir nicht. Im Prinzip könnte eine Art Multiversumtheorie in der Physik die gleiche Erklärungsarbeit leisten wie der Darwinismus in der Biologie. Auf den ersten Blick ist eine solche Erklärung weniger befriedigend als die biologische Version des Darwinismus, weil sie größere Anforderungen an den Zufall stellt. Aber wegen des anthropischen Prinzips dürfen wir viel mehr Zufall postulieren, als es unserer begrenzten menschlichen Intuition angenehm erscheint.

    6. Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch in der Physik noch ein besserer »Kran« gefunden wird, der ebenso leistungsfähig ist wie der Darwinismus in der Biologie. Indes, selbst wenn ein völlig befriedigender, dem biologischen ebenbürtiger »Kran« noch fehlt, sind die relativ schwachen heutigen Kräne der Physik in Verbindung mit dem anthropischen Prinzip ganz offenkundig besser als die Himmelshaken-Hypothese von einem intelligenten Gestalter, die ich selbst widerlegt habe.

    Wenn man die Argumentation dieses Kapitels anerkennt, ist die Grundvoraussetzung der Religion – die Gotteshypothese – nicht mehr haltbar. Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht. Daraus ergeben sich verschiedene Fragen. Spricht nicht selbst dann vieles für die Religion, wenn wir anerkennen, dass es keinen Gott gibt? Ist sie nicht tröstlich? Motiviert sie nicht die Menschen, Gutes zu tun? Woher sollen wir wissen, was gut ist, wenn es keine Religion gibt? Und warum soll man überhaupt so feindselig sein? Warum haben alle Kulturkreise der Welt ihre Religion, wenn sie falsch ist? Ob richtig oder falsch, Religion ist allgegenwärtig, woher also kommt sie? Dieser letzten Frage wenden wir uns nun als Nächstes zu.

5. Die Wurzeln der Religion
    Für den Evolutionspsychologen lassen die weltweit verbreiteten, exotischen religiösen Rituale mit ihrem Aufwand an Zeit, Ressourcen, Schmerzen und Entbehrungen so eindeutig wie das Hinterteil eines Mandrills darauf schließen, dass Religion der Anpassung dient.
       
    Marek Kohn

Die darwinistische Zwangsläufigkeit

    In der Frage, wie die Religion entstanden und warum sie in allen Kulturkreisen der Menschen anzutreffen ist, hat jeder seine Lieblingstheorie. Die Religion spendet Trost und Geborgenheit. Sie fördert das Gemeinschaftsgefühl in Gruppen. Sie befriedigt unser Bestreben, zu verstehen, warum wir existieren. Auf solche Erklärungen werde ich im Folgenden zurückkommen. Aber zuvor möchte ich eine andere Frage stellen, die aus naheliegenden Gründen Vorrang hat: eine darwinistische Frage zur natürlichen Selektion.
    Wir wissen, dass wir Produkte der Darwinschen Evolution sind; deshalb stellt sich die Frage, welchen Druck die natürliche Selektion ausübte, sodass die Hinwendung zur Religion begünstigt wurde. Besonders drängend ist diese Frage vor dem Hintergrund der

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