Der Graben: Thriller (German Edition)
antworten, ein Kästchen anzukreuzen, hatte er die Wahrheit verdrängt, obwohl er genau wusste, dass er das nicht tun sollte.
Hashiba verfluchte seine Schwäche. Bei ihrer Frage hatte Saeko ihn so angesehen, beinahe flehentlich. Selbst einem weniger narzisstischen Mann wäre sonnenklar gewesen, was sie hören wollte. Hashiba hatte die Wahrheit verbogen, weil er es nicht fertigbrachte, die Hoffnung zunichtezumachen, die er in Saekos Augen gesehen hatte. Obwohl ihm vollkommen klar war, dass eine bequeme Lüge Konsequenzen nach sich ziehen würde, hatte er der Versuchung nachgegeben. Prompt zog sich nun die Schlinge um seinen Hals zu.
»Mir ist auf der Arbeit was Dringendes dazwischengekommen, und ich wollte euch nicht so spät durch einen Anruf stören. Tut mir leid.«
»Aber Yusuke wird davon doch sowieso nicht wach.«
»Hör auf damit.«
Während der Schwangerschaft hatte Hashibas Frau die Röteln bekommen, und Yusuke, Hashibas Sohn, war von Geburt an auf einem Ohr schwerhörig. Das machte dem Jungen kaum etwas aus. Da er fest entschlossen war, auch das leiseste Geräusch mitzubekommen, war seine Wahrnehmung sogar besonders gut. Trotzdem bekam Hashiba noch heftigere Gewissensbisse bei dem Gedanken, dass er versucht hatte, eine Nummer zu schieben, während seine Frau mit ihrem hörbehinderten Kind daheim saß.
Seine Frau schwieg einen Augenblick. Hashiba schwante schon, was als Nächstes kommen würde.
»Die Testergebnisse sind da«, sagte seine Frau schließlich. Ihre Stimme klang nun geknickt, bedrückt, und zog Hashiba mit sich herunter.
»So schnell?« Vor vier Tagen hatte seine Frau sich auf Brustkrebs untersuchen lassen. Man hatte ihr gesagt, die Ergebnisse würden in zwei Wochen vorliegen. Sie waren also früher gekommen, und Hashiba wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war.
»Sie haben gesagt, ich soll noch mal für genauere Zelluntersuchungen kommen.« Die Stimme seiner Frau zitterte leicht.
Verstehe… Hashiba konnte sich des schrecklichen Gefühls nicht erwehren, dass seine Affäre der vergangenen Nacht irgendeinen Einfluss auf die Ergebnisse hatte.
Vor zwei Wochen erst hatte seine Frau ihm gesagt, dass sie einen Knoten entdeckt hatte. Sie hatte seine Hand an die Unterseite ihrer linken Brust geführt, und dort hatte er den kleinen, unnatürlichen Knoten ertastet – eine winzige Veränderung im Körper seiner Frau, jenem Körper, den er schon seit Langem nicht mehr angerührt hatte. Er wusste noch, dass er gedacht hatte, wenn es Krebs war, wäre der Knoten schon ziemlich groß. »Wahrscheinlich ist das nichts, nur eine Entzündung«, hatte er gesagt, weil er seine Frau nicht unnötig beunruhigen wollte. »Aber vielleicht sollten wir es untersuchen lassen, sicherheitshalber«, hatte er dennoch behutsam vorgeschlagen. Vor vier Tagen hatte seine Frau sich endlich dazu durchgerungen, ins Krankenhaus zu gehen.
Der Knoten befand sich an genau der gleichen Stelle wie der von Saeko, und er war fast genauso groß.
Letzte Nachtwar sein sexuelles Begehren in dem Moment versiegt, als er den Knoten unter Saekos Brust gespürt hatte, doch nicht aus Sorge, sie könnte Krebs haben. Plötzlich hatte er seine Frau vor sich gesehen, hatte ein ganz klares Bild von ihr vor Augen gehabt, das er nicht wegwischen konnte. Seine Frau hatte eine unerwartete Taktik angewendet, um ihn daran zu hindern, eine Affäre zu beginnen.
Würde Saeko versuchen, dies in physikalischen Begriffen zu erklären, als Kontraktion von Wellenfunktionen? Nicht dass Hashiba die physikalischen Gesetze wirklich verstand – er hatte einfach den Eindruck, der Himmel würde ihn strafen. Die Testergebnisse hatten sich überschnitten, es stand fifty-fifty, doch dadurch, dass er bei Saeko geblieben war, hatten sie sich zum Schlechteren gewendet. Zwei ursprünglich gleich wahrscheinliche Möglichkeiten hatten sich durch die Kontraktion von Wellenfunktionen in einem einzigen Zustand zusammengefunden: Krebs.
Angesichts dieses kurzen Einblicks darin, wie die Welt tickte, betete Hashiba: Selbst wenn sie ihr die Brust entfernen müssen, bitte, lass meine Frau leben.
»Falls mir etwas zustoßen sollte, ist es okay, wenn du jemanden kennengelernt hast.«
Hashibas Blick flog dorthin, wo Saeko saß und ins Gespräch mit Kagayama vertieft war. Hat sie irgendwas von Saeko mitbekommen? , fragte er sich. Schlechte Testergebnisse, ein untreuer Ehemann – wenn seine Frau gleich zwei Ängste auszustehen hatte, war es Hashibas Pflicht, sie zu
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