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Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
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zunehmende Schläfrigkeit anzukämpfen.
    Wenn ich selbst den Nullpunkt darstellen würde, dann wäre die Straße vor mir der positive Teil der Zahlengerade. Die Straße hinter mir stellt den negativen Teil dar. Die eben durchquerte Stadt wäre eine der Zahlen auf der Geraden, eine ganze Zahl. Die Zahlengerade ist eine Konstruktion aus reellen Zahlen, und zwischen positiven ganzen Zahlen wie 1, 2, 3 liegen unzählige Bruchzahlen. Ganze Zahlen und Bruchzahlen bilden zusammen die sogenannten rationalen Zahlen. Damit hört die Gesamtheit der Zahlen jedoch noch nicht auf. Hier und da stoßen wir auf das eigenartige Phänomen der sogenannten irrationalen Zahlen.
    Die bekanntesten Beispiele irrationaler Zahlen sind die Quadratwurzel aus 2 oder 3. Andere Zahlen, die nicht die Lösung bestimmter Gleichungen sein können, zum Beispiel π, werden transzendente Zahlen genannt. Ganz gleich auf wie viele Dezimalstellen man sie berechnet, man erhält immer nur eine willkürliche Zahlenfolge ohne erkennbares Muster. Mit anderen Worten: Diese Zahlen können nicht durch einen einfachen Bruch dargestellt werden. Als Student habe ich einmal nur zum Spaß den Wert von π auf 2300 Dezimalstellen berechnet.
    … 3,1415926535897932384626433832795028841971693…
    Ganz gleich, wie viele Dezimalstellen ich aufschrieb, es ergab sich natürlich nie ein auch nur annähernd regelmäßiges Muster.
    Irrationale Zahlen haben unendlich viele Stellen nach dem Komma, eine chaotische Aneinanderreihung von Ziffern ohne Ziel. Man stelle sich vor, ich hätte plötzlich ein sich wiederholendes Muster in einer Zahl gefunden, die bisher als irrational galt! Das wäre der Augenblick gewesen, in dem ich erkannt hätte, was es wirklich bedeutet, Angst zu haben. Ich habe mich nie vor Geistern oder dem Okkulten oder solchem Quatsch gefürchtet, doch das da hätte mich mit Ehrfurcht und Angst erfüllt. Beim Auftauchen eines Musters jenseits einer bestimmten Grenze kommt einem der Gedanke an den Willen einer Wesenheit, die den Kosmos durchdringt.
    Betrachten wir die seltsamen Eigenschaften der irrationalen Zahlen selbst. Die Tatsache, dass sie nicht als Bruch dargestellt werden können und dass nach dem Komma eine unendliche willkürliche Zahlenreihe folgt, bedeutet, dass sie kein Ende haben. Daher kann man sie auch nicht mit den Zahlen vor oder nach ihnen vergleichen und ihnen keinen genauen Platz auf der Zahlengeraden zuweisen. Darin liegt das Tiefgründige, Unheimliche an irrationalen Zahlen. Als junger Mann von achtzehn Jahren überlief es mich eiskalt beim Gedanken an so einen bodenlosen Abgrund.
    Wenn man sich ganze Zahlen als Markierungen oder Wegweiser vorstellen kann, dann sind irrationale Zahlen abgrundtiefe Fallgruben überall auf dem Weg. Erstaunlich ist, dass es viel mehr irrationale als rationale Zahlen gibt. Ein solcher Vergleich mag müßig erscheinen, da beide Zahlengruppen unendlich groß sind. Hier kommt das Konzept des Vergleichs der Grenzen verschiedener Unendlichkeiten ins Spiel, und wie Cantor, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Mengenlehre begründete, bewiesen hat, sind die Grenzen der Unendlichkeit für irrationale Zahlen größer.
    Stellen Sie sich vor, Sie fahren an einer Zahlengeraden entlang. Verglichen mit der schieren Anzahl bodenloser Abgründe um Sie herum haben Sie nur relativ wenig festen Boden unter sich. Trotzdem schlingert das Auto weiter, ohne in eine der Gruben zu stürzen, ebenso wie mein Jeep weiter seinem Weg zu den Ruinen folgt. Mathematisches Denken und die Wirklichkeit könnten nicht weiter voneinander entfernt sein. Es scheint keine Gefahr zu bestehen, in einem Abgrund zu verschwinden.
    Ganze Zahlen, rationale Zahlen, irrationale Zahlen, transzendente Zahlen… Es gibt viele Arten von Zahlen, doch die Null ist wirklich eine Ausnahme unter ihnen. Die Null ist eine Form von Dunkelheit, die auf der Zahlengeraden nicht existiert.
    Wenn wir an ihr entlanggehen, könnten wir in eine tiefe Mulde stürzen, eine andere Umgebung vorfinden und plötzlich in einer anderen Dimension wieder auftauchen. Das Konzept der Null ist genau wie ein Schwarzes Loch in der Astrophysik.
    Wenn wir den Bereich der Zahlen erweitern und komplexe Zahlen mit einschließen, öffnet sich um die Gerade eine zweite Dimension, eine Ebene, auf deren Oberfläche eine unendliche Anzahl imaginärer Zahlen sitzt. Wir können quadratische Gleichungen oder Gleichungen zweiter Ordnung lösen, ohne die Existenz komplexer Zahlen vorauszusetzen, aber nicht

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