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Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
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Brust ertastet hatte, und am nächsten Tag hatte er von den unklaren Befunden seiner Frau erfahren. Das war nur die Spitze des Eisbergs. Je mehr er sich auf Saeko einließ und sich dem Punkt näherte, an dem es kein Zurück mehr gab, desto schlimmer würde die Diagnose seiner Frau ausfallen. Mit jeder nackten Umarmung würde der Krebs seiner Frau sich verschlimmern, und schließlich würde sie sterben.
    Bei diesem Gedankengang lief Hashiba ein Schauder über den Rücken. Was in der Welt passierte, war in Wirklichkeit der oberflächliche Ausdruck eines komplizierten Geflechts aus Willenskräften und ursächlichen Zusammenhängen, der gewöhnlichen Menschen verborgen blieb, das Shigeko jedoch mit ihrem geistigen Auge erkennen konnte. Das verstand Hashiba jetzt zum ersten Mal. Das war ihre eigentliche Gabe gewesen.
    Hashiba verzog das Gesicht, als wollte er die Tränen unterdrücken. Gerade als Saeko dies bemerkte, brach plötzlich das Geständnis aus ihm heraus.
    »Saeko, ich will zu gerne, dass aus unserer Beziehung mehr wird. Aber ich kann nicht… Ich habe eine Familie.«
    Saeko schnappte überrascht nach Luft. Hashibas Erklärung traf sie so unvorbereitet, dass ihr zunächst überhaupt nichts dazu einfiel. Doch die Worte entschlüpften ihr, bevor sie klar denken konnte, reflexartig und formelhaft.
    »Das war mir klar.« Saeko log nicht, um es Hashiba heimzuzahlen. Sie hatte geglaubt, er wäre Single, und sie versuchte verzweifelt zu verbergen, wie aufgewühlt sie war. »Ich habe nicht geglaubt, dass jemand, der so attraktiv ist wie du, noch Single sein kann.« Saeko bemerkte nicht, wie verwirrt Hashiba war; die Worte quollen einfach aus ihr heraus. Sie standen in völligem Widerspruch zu ihren Gefühlen, doch sie konnte nicht aufhören. »Du bist einfach zu freundlich. Du wusstest genau, was ich hören wollte, und das hast du mir eben gesagt.«
    Hashiba stand nur da, gab weder eine Entschuldigung noch eine Rechtfertigung von sich, weil er Angst hatte, jede Äußerung könnte arrogant klingen.
    »Warum sagst du nichts?«
    Selbst jetzt noch erwartete Saeko, dass ihm Liebesschwüre über die Lippen kamen.
    »Tut mir leid, dass ich dich angelogen habe. Ich hoffe, wir können gute Freunde bleiben.«
    Saeko spürte, wie sich ihre Augen weiteten. Sie wollte ihm mit den Fäusten an die Brust hämmern und sagen: Es ist mir egal, ob du eine Familie hast. Liebe mich. Bitte, lass mich nicht allein.
    36
    Zum ersten Mal seit Langem stellte Saeko fest, dass sie sich Gedanken darüber machte, Heiligabend allein zu verbringen. Nach der Totenwache – und nach seinem Eingeständnis, dass er verheiratet und Familienvater war – hatte Hashiba einen Zug nach Atami genommen. Da sie trotz des Heiligen Abendsallein war, hatte Saeko sich durch die Kälte zu Kitazawas Büro geschleppt. Dort hatte sie ihn gebeten, ihr zu helfen, nach eventuellen Verbindungen zwischen den Fujimuras und ihrem Vater zu suchen. Sie war gerade erst nach Hause gekommen.
    Während die Wärme ihrer Wohnung allmählich die Kälte der Winterluft aus ihren Knochen vertrieb, verspürte Saeko ihre eisige Einsamkeit umso deutlicher. Sie überlegte, was sie tun sollte, griff dabei unbewusst zur Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.
    Die Nachrichten meldeten, dass die Rettungsdienste bei der Suche nach den einundneunzig Vermissten in Atami keine Fortschritte gemacht hätten.
    Saeko fiel plötzlich wieder ein, dass sie dabei gewesen waren, eine Datei von der Diskette auszudrucken, die sie im Notizbuch ihres Vaters gefunden hatten. Dann waren sie Hals über Kopf nach Atami aufgebrochen, ohne den Ausdruck zu beenden. Na also, das war doch wenigstens etwas, das sie an diesem Heiligabend anfangen konnte.
    Sie ging hinüber ins Arbeitszimmer ihres Vaters und setzte sich vor den Textprozessor. Ein paar Seiten lagen in der Ablage – die Seiten, die Hashiba bereits ausgedruckt hatte. Die Maschine hatte rückwärts gearbeitet, also am Ende des Textes angefangen. Saeko rief die erste Seite auf, legte ein einzelnes Blatt ein und drückte auf »Drucken«.
    Es ging wieder unendlich langsam, das Papier kroch Stückchen für Stückchen voran. Das Display selbst war winzig, sodass man darauf immer nur eine halbe Seite betrachten konnte. Es würde ewig dauern, den ganzen Text auszudrucken, wenn man immer nur ein einzelnes Blatt einlegte und jedes Mal neu den Befehl zum Drucken gab. Doch Saeko wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, wenn sie den Text lesen wollte. Sie legte ein

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