Der Graben: Thriller (German Edition)
sie mittels Versuch und Irrtum auf die Probe stellte.
Die Zahl der Vermisstenfälle in Japan lag jedes Jahr bei knapp 100.000, doch ungefähr die Hälfte bis zwei Drittel der Personen tauchte irgendwann von selbst wieder auf. Die übrigen etwa 30.000 Personen blieben vermisst; die meisten von ihnen waren allerdings hoch verschuldet und vermutlich auf der Flucht vor ihren Gläubigern. Die Anzahl der Fälle, in denen die Gründe für das Verschwinden im Dunkeln blieben, lag bei ungefähr 10.000. Wenn jemand türmte, um die Vergangenheit auszulöschenund bei null anzufangen, konnte das Verschwinden als vorsätzlich eingestuft werden. Doch wenn Personen entführt oder gewaltsam verschleppt worden waren, tauchten sie am Ende meist ermordet wieder auf; das waren die schlimmsten Fälle. Betrachtete man aktuelle Beispiele, war es sogar möglich, dass religiöse Sekten oder der Geheimdienst eines Schurkenstaates beteiligt waren.
Wenn Saeko diesen Artikel wirklich schreiben sollte, würde sie sich auf die Untersuchung der Gründe für das Verschwinden der Familie konzentrieren. Die Polizei hatte festgestellt, dass es keinerlei Anzeichen für kriminelle Machenschaften gab. Nach einer Suchaktion in den nahe gelegenen Bergen, Flüssen, Seen und Sümpfen waren die Ermittlungen eingestellt worden. Die einzigen weiteren Untersuchungen wurden von verschiedenen Presseorganen und freiberuflichen Journalisten durchgeführt. Trotz deren akribischer Ermittlungen gelang es jedoch nicht, einer Aufklärung des Falls näher zu kommen. Die Familie hatte keine Schulden, und keines ihrer Mitglieder hatte größere Probleme. Sämtliche Nachbarn gaben zu Protokoll, sie könnten sich nicht vorstellen, dass irgendjemand einen Groll auf die Familie Fujimura hegte. Selbstredend gab es keinerlei Feindseligkeiten zwischen der Familie und irgendeinem der Nachbarn. Wie zur Bestätigung dieser Aussagen fanden sich im Haus keinerlei Anzeichen eines Kampfes, und Luminol-Tests brachten keine Blutspuren zutage.
Aufgrund dieser Berichte hatte Saeko nicht die geringste Ahnung, warum die Fujimuras verschwunden waren. Wie kann das passiert sein? , fragte sie sich. Als sie die Akte von vorne bis hinten durchgelesen hatte, konnte sie es nicht glauben. Ich muss etwas übersehen haben , dachte sie. Eine vierköpfige Familie verschwand nicht einfach ohne jeden Grund über Nacht.
In der Grundschule hatte Saeko einmal ein Buch über die größten ungelösten Rätsel dieser Welt gelesen. In einer Geschichte ging es um den Fall der Mary Celeste , das seltsame Verschwinden einer ganzen Gruppe von Menschen auf dem Nordatlantik. Die Besatzung eines anderen Schiffes, welche die verlassene Mary Celeste entdeckt hatte, präsentierte das Ganze als wahre Geschichte.
Am 4. Dezember 1872 sichtete die Bark Dei Gratia die Mary Celeste , die scheinbar führerlos auf dem Meer trieb. Da es die Seefahrerehre verlangte, dass man in Not geratenen Seemannskollegen beistand, sandte die Bark Signale zur Mary Celeste , erhielt jedoch keine Antwort. Also drehte sie längsseits der Brigantine bei, und der Kapitän der Dei Gratia ging mit einigen seiner Männer an Bord der Mary Celeste , wo sie feststellten, dass das Schiff verlassen war. Es war niemand an Bord, die Fracht war intakt, doch die Mannschaft war verschwunden.
Weitere Untersuchungen des Schiffs warfen neue Fragen auf, wie zum Beweis, dass die Mary Celeste tatsächlich ein Geisterschiff war.
Sie war am 7. November mit einer neunköpfigen Crew aus New York ausgelaufen und am Morgen des 4. Dezember führerlos aufgefunden worden. Ihr Zustand bei der Entdeckung wurde wie folgt beschrieben:
Das halb aufgegessene Frühstück des Kapitäns wurde auf dem Tisch in seiner Kajüte gefunden. Es gab Brot und Kaffee, und in einer Ecke des Tischs stand sogar eine Baby-Milchflasche. In der Nähe fand man das verlassene Logbuch des Kapitäns mit dem krakeligen Eintrag »4. Dezember, meine Frau, Marie«. Über dem Herd in der Küche hing ein Topf, und im Mannschaftsquartier standen Reste eines Hähnchen-Schmortopfes.
Im Waschraum des Schiffes war offenbar gerade jemand dabei gewesen, sich zu rasieren, und in der nächsten Kabine wurde ein Messer mit Blutspuren gefunden. Die Ladung war unangetastet, sodass ein Piratenangriff ausschied. Das Schiff war nicht beschädigt, und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass die Crew es absichtlich verlassen hatte, weil eine ansteckende Krankheit ausgebrochen war oder aus einem ähnlichen Grund. Es gab
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