Der Graben: Thriller (German Edition)
Geschichte zum Thema Scheidung war definitiv Neuland.
Damals waren Maezono und Saeko einander noch nicht begegnet. Doch als der Artikel erschien, las Maezono ihn und nahm auf der Stelle Kontakt zu Saeko auf. Maezono war zweiundvierzig und ebenfalls geschieden. Sie erzählte Saeko, dass der Artikel sie angesprochen habe. Es hat mir gefallen, wie Sie durch Humor Ihren Kummer und Schmerz überwunden haben.
Da sie von der gleichen bitteren Frucht gekostet hatten, verstanden sich die beiden Frauen auf Anhieb und lachten gemeinsam über die Marotten und Eigenarten ihrer Exmänner. Maezono begann, Saeko Aufträge zu verschaffen, weniger weil sie ihr helfen wollte, als alleinstehende Frau ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern weil sie Saekos Arbeitsethos und sorgfältige Recherche schätzte.
Maezono war damals noch nicht lange Chefredakteurin, und sie machte sich mit solchem Eifer daran, die Zahl ihrer Leser zu erhöhen, dass ein paar Leute die Augenbrauen hochzogen. Sie wusste, dass sie die Entscheidung des Vorstands, sie für den Posten auszuwählen, nur dann rechtfertigen würde, wenn sie Erfolg hatte. Versagte sie, bestand nicht nur die Gefahr, dass sie ihren Job verlor, sondern es würde auch die Mitglieder des Vorstands kompromittieren, die sich für sie ausgesprochen hatten.
Um mehr Abonnements zu verkaufen, kam Maezono auf die Idee, den aggressiven Ton des Magazins zu verändern. Wenn man sich in erster Linie an männliche Leser richtete, war die mögliche Auflagenzahl zwangsläufig begrenzt. Neue Leser ließen sich am schnellsten gewinnen, indem man eine breitere Bevölkerungsschicht ansprach. Ihr Schlachtplan war, durch detaillierte Reportagen zu typischen Themen lokaler Nachrichten das Interesse weiblicher Leser zu wecken.
Der Plan ging auf. Die Abonnements stiegen erheblich, und Maezonos Arbeit als Chefredakteurin wurde in den höchsten Tönen gelobt. Ihr Talent zeigte sich auch darin, wie sie Saekos wissenschaftliche Art des investigativen Journalismus wirksam einsetzte und weiter ausbaute.
Saeko wiederum bekam durch ihre Arbeit mit Maezono Gelegenheit, sich als Journalistin neu zu definieren, und so unterstützten die beiden Geschiedenen sich gegenseitig.
Maezono sah Saeko forschend an, während sie gleichzeitig die Dessertkarte überflog. »Außerdem wäre es so eine Verschwendung, Ihr einmaliges Talent hier nicht einzusetzen. Wenn Sie natürlich denken, es wäre zu traumatisch für Sie…«
Die Einzelheiten ihrer Scheidung zu erzählen, war Saeko nicht leicht gefallen, auch wenn ihr Artikel humorvoll geschrieben war. Zuerst war es schwer zu verstehen, warum die Trennung so schmerzlich war – sie war schließlich nicht mehr in ihren Ex verliebt. Doch während des Schreibens musste Saeko sich eines klarmachen: Im Hinblick auf ihre unverarbeiteten Gefühle gegenüber ihrem Vater hatte ihr Mann recht gehabt. Sie war gezwungen, sich endlich einzugestehen, dass sie jeden Mann in ihrem Leben – ihre Liebhaber, ihren Ehemann – stets mit ihrem Vater verglichen hatte. Nachdem er fort war, idealisierte sie ihren Vater und schuf unbewusst ein verklärendes Bild von ihm, gegen das alle anderen Männer verblassten. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie für eine Ehe nicht geeignet war.
Doch Maezono lag richtig. Den humorvollen Bericht über ihre Scheidung zu schreiben, hatte Saeko geholfen, mit diesen unschönen Gefühlen fertigzuwerden.
»Woran haben Sie gedacht?«, fragte sie.
Daraufhin schlug Maezono ihr ein Projekt vor, das zwischen sechs Monaten und einem Jahr dauern würde, vielleicht sogar noch länger. Saeko würde verschiedene Fälle vermisster Personen untersuchen und mit einem detaillierten Bericht über das Verschwinden der Familie Fujimura aus ihrem Haus bei Takato beginnen.
Als Saeko an diesem Tag nach Hause ging, hatte sie noch nicht endgültig zugesagt, doch sie nahm sich die Unterlagen mit. Sie bestanden in erster Linie aus Auszügen früherer Artikel über den Vorfall. Es gab keine neue Spur. Saeko würde zunächst genaue Informationen über jede Einzelheit des Falls einholen müssen.
Sie musste wissen, wann, wo und wie die Familie Fujimura verschwunden war, wer zur Familie gehörte, wie alt die Familienmitglieder waren und welche Beschäftigung sie ausübten, welche Probleme sie hatten oder nicht hatten und ob es in der Familie irgendwelche Unstimmigkeiten gegeben hatte. Nachdem sie die äußeren Umstände nahezu vollständig erfasst hatte, überlegte sie sich einige Theorien, die
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