Der Graben: Thriller (German Edition)

Filmteam im Kopf herumging. »Am besten erklären Sie uns einmal, was dieser ›Phasenübergang‹ überhaupt ist.«
    Man konnte unmöglich entscheiden, was als Nächstes zu tun war, wenn man die Grundlagen der Vorgänge nicht verstand. Irgendjemand hatte den Ton abgestellt, doch auf dem Bildschirm waren immer noch die Bilder von dem riesigen Erdspalt zu sehen.
    Für den Rest des Teams übersetzte Isogai den englischen Begriff zunächst ins Japanische. Selbst das japanische Wort schienen nur Hashiba und Kagayama zu kennen, doch auch sie wussten nur wenig darüber, was es bedeutete.
    »Was ein Phasenübergang ist, erklärt man am besten am Beispiel von Wasser.« Isogai hob sein Glas, um sein Bier zu trinken, doch er sah, dass es fast leer war. Anstatt sich nachzuschenken, hielt er das Glas hoch. »Sagen wir mal, dieses Glas ist voll Wasser. Der Aggregatzustand des Wassers wird, wie wir alle wissen, flüssig genannt. Wenn man es auf 100 Grad Celsius erhitzt, kocht es jedoch und wird gasförmig. Kühlt man es dagegen auf unter 0 Grad, gefriert es und wird fest. Mit anderen Worten, Wasser hat drei ›Phasen‹: eine gasförmige Phase über 100 Grad, eine feste Phase unter 0 Grad und eine flüssige Phase dazwischen. Das ist die Grundbedeutung des Worts. Phasenübergang ist einfach der Übergang von einer Phase in die andere.«
    Das war leicht verständlich. Die Beschaffenheit von Wasser, H 2 O, wechselte zwischen den drei Phasen fest, flüssig und gasförmig, je nach Temperatur der Moleküle. Diese Stadien wurden Phasen genannt. Dank Isogais Rückgriff auf Alltagserfahrungen begriff Hashiba das Prinzip rasch.
    »Genauso«, fuhr Isogai fort, »besitzt auch das Universum eine Phase. Unsere Wahrnehmung des Raums ist dreidimensional, und die Zeit verläuft in eine einzige Richtung. Unser Universum gründet auf der Balance der vier Naturkräfte: Gravitation, elektromagnetische Wechselwirkung, starke Kernkraft und schwache Kernkraft. Zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts ist ein bestimmtes System physikalischer Konstanten erforderlich, das eine Phase bildet.
    Wenn sich jedoch – und das ist das Entscheidende – die Phase ändert, ändern sich auch die beteiligten physikalischen Kräfte. Um nochmals auf das Beispiel des Wassers zurückzukommen: Wir wissen, dass die Geschwindigkeit, mit der Schallwellen sich durch Wasser bewegen, davon abhängt, ob es in seiner gasförmigen, flüssigen oder festen Phase ist. Das Gleiche gilt für das Licht; der Brechungswinkel hängt von der jeweiligen Phase der Materie ab, durch die es sich bewegt. Ein Phasenübergang bedeutet einen Wechsel der physikalischen Konstanten und eine Veränderung in den mathematischen Strukturen, die unserer Welt zugrunde liegen.«
    Hashiba wurde immer angespannter, je länger er Isogai zuhörte, denn er begriff sofort, was dessen Ausführungen für Konsequenzen haben mussten. Wenn es stimmte, was er sagte, würde die Veränderung in der Mathematik – das Auftauchen eines Musters im Wert von Pi, das Scheitern der Riemannschen Vermutung – sich zweifellos so äußern, wie sie es beobachtet hatten.
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Hashiba nicht recht glauben wollen, dass eine Veränderung im Bereich der Zahlen konkrete Auswirkungen auf die reale Welt haben konnte. Doch wenn die Unregelmäßigkeiten, deren Zeuge sie geworden waren, eine Art Prolog zu einem Phasenübergang waren… Er schauderte bei dem Gedanken. Hashiba hatte sich die Welt, in der er lebte, immer als gasförmig vorgestellt. Die Wasserwelt wurde von Fischen bewohnt, die feste Welt aus Erde von Würmern. Wenn eine solche Ordnung plötzlich auf den Kopf gestellt wurde… Das wäre, als würden Leute plötzlich in Beton gegossen oder gefesselt und ins Meer geworfen, wo sie unweigerlich ertrinken mussten. Jetzt begriff Hashiba, warum Isogai und Chris so aufgewühlt gewesen waren. Er verstand die Angst in ihren Augen.
    »Aber Sie wollen damit doch nicht sagen, dass ein solcher Phasenübergang bevorsteht?«
    Isogai hüstelte verlegen und hob den Kopf, um Hashibas starrem Blick zu begegnen. Er nickte knapp. »Leider deutet alles genau darauf hin.«
    »Und was passiert dann mit uns?« Kagayama und Hosokawa platzten gleichzeitig mit fast derselben Frage heraus und beugten sich vor.
    »Im Moment ist die Nacht draußen noch sternenklar. Doch während wir hier sitzen und uns unterhalten, verschwinden die Sterne. Was passiert also, wenn die Welle dieses Phasenübergangs unser Sonnensystem erreicht? Wir würden